Berlin ist bekannt für sein ausschweifendes Nachtleben. So wie Boris Becker für sein Liebesleben. Man hört viel, aber was genau verbirgt sich dahinter? Ich wagte den Selbstversuch mit ‚ner Flasche Johnnie Walker und ‘nem Fuffi in der Tasche. Allein. Mal schauen, wie mich die Nacht empfangen wird. Nach ein paar Shots in Gesellschaft meiner Perserkatze mache ich mich auf den Weg. Ich weiß, alleine Feiern gehen ist generell asozial. Doch sei dir sicher, ab drei Uhr morgens werden auch deutsche Herzen offener. Man muss nur lernen, Leuten mit knirschendem Unterkiefer gut zuzuhören. Es verdrängt beiläufig immer die Tristesse der Situation.
Einen Begleiter habe ich stets dabei: Mein iPhone. Mit Twitter-Account. So verpasse ich wichtige Meldungen nicht über den nächsten Tom Cruise Film, in dem er den Papst spielt. Oder Barack Obama. Immer gut. Manchmal tippe ich auch busy SMS, dann sieht es so aus, als würde man soziale Kontakte pflegen und auf jemanden warten. Ich fühle mich immer relativ smart bei diesem Betrug und man wirkt gleich nicht mehr so traurig.
Ich nehme einen großen Schluck Whiskey und mache mich auf den Weg zum Club der Visionäre. Wenn man keine Uhr dabei hat, dann ist eine Flasche hochprozentiges sehr hilfreich bei der Zeiteinschätzung. Da ein Drittel noch drin ist, schätze ich die vergangene Zeit auf ‘ne gute Stunde.
Ich bin da und steige einer Laune nach auf Bier um. Eine Person fällt mir bei der Umgebungsanalyse besonders ins Auge. Eine junge Mutter mit ihrem Baby, das in ‘nem Naturfasertuch vor ihrem Bauch baumelt. Musikalische Früherziehung für zukünftige Elektro- DJs. Die Clubbetreiber scheinen es da nicht ganz so ernst zu nehmen mit der Altersbeschränkung. Vielleicht nehme ich nächstes Mal meine 12-Jährige Schwester mit, möchte ich schreien. Ich tu‘s nicht. Sondern berechne den Erfolg meiner nächsten Aktion:
Wenn man hin und wieder alleine weggeht, sollte man immer ein Ass im Ärmel haben, falls das mit dem Kennenlernen von anderen Leuten nicht klappt. In diesem Fall berufe ich mich auf den alt bewährten „Boom- Shacka-Effekt“. Der „Boom-Shacka- Effekt“ funktioniert so: Man setzt sich zu einer Gruppe von Fremden und anstatt ein Gespräch anzufangen, zündet man sich eine lange Zigarette mit Kräutermischung an. Schon kommen die Menschen auf einen zu und wollen auch mal probieren. Und ehe man sich versieht hat man fünf neue Freunde. Eine meiner neuen Freunde ist die Mutter mit Kind.
„Solltest du das nicht lieber nicht vor dem Kind machen?“, frage ich sie.
„Wieso? Ist doch nur Dope.“ bemerkt sie trocken und zieht kräftig. Das weder das Gras, noch der Spruch, dope waren, verkneife ich mir mal. Das Baby schläft, und ich hoffe, dass es wegen der Müdigkeit so ruhig ist.
Die anderen in der Runde sitzen ohne Kind da und erzählen ihre Storys. Ich bin ja eh davon überzeugt, dass Leute, die man am Wochenende kennenlernt, einem nur Scheiße erzählen. Wie beispielsweise der Typ mit schulterlangen Haaren und Ring am Daumen, der schräg gegenüber sitzt und die Runde unterhält. Mit geweiteten Pupillen erzählt er von früheren Zeiten, als er noch mit Taschen voll Schwarzgeld Richtung Holland und Schweiz unterwegs war. Dann habe er aber aufgehört, weil er gemerkt hat, dass Geld nicht alles ist im Leben und Gesundheit viel mehr als das zählt. Er kenne zwar die Rauschgiftschmuggler von früher noch und könnte das beste „Zeug“ besorgen, aber das ist ihm an dem Abend zu umständlich. So kratzt er 2,34€ zusammen und fragt mich. Ich verneint und gehe.
Wie es der Zufall so will, treffe ich dort einen alten Freund aus Spanien. Trotz seiner, wegen Jugendsünden, leicht defekten Nasenscheidewand, sieht er recht erholt aus. Er war mit dem Auto hier, was mich etwas stutzig macht, als ich die halbvolle Flasche Moskovskaja in seiner Hand sehe. Aber wir fahren los – ins Rechenzentrum. Die Fahrt verläuft im Großen und Ganzen harmonisch. Abgesehen von einem Moment, als er kurz vor dem Ziel noch auf die Idee kommt, er müsse auf gerader Strecke noch eine Nase ziehen. Obwohl ich solche Drogen nicht unterstütze, erkläre ich mich bereit, in der Zeit das Lenkrad zu halten.
Wozu eigentlich Lines? Frage ich mich, während ich meinen Kumpel Carlos bei seinem rasanten Aufstieg beobachte. Macht eigentlich keinen Sinn. Man kann es auch im Style von Tony M. machen und gleich den Kopf reinhalten. Was mein Angora-Kaninchen wohl davon hält?
Ich will es nicht riskieren. Außerdem hält die Krise noch an, da muss man auf sein Geld achten. Und die Banken können einem niemals einen so guten Ego-Kredit für eine Nacht geben. Sie verlangen aber auch nicht 50% Zinsen am nächsten Morgen. Da ist die Stimmung dann futsch. Bei uns nicht.
Dort angekommen quetschen wir uns ins Getümmel. Der DJ scheint besonders guter Laune zu sein. Seine Hommage an Daft Punk ist eine Gummimaske von Godzilla, die er während des ganzen Gigs aufgesetzt lässt. Ich zolle ihm meinen Respekt dafür und gebe ein Daumen hoch in seine Richtung ab. Das Ganze kombiniert mit angewinkelten Armen, welche sich zum Minimal-Beat bewegen. Mir fällt auf, dass keine Japaner im Club sind. Der Abend klingt aus. Kohle und Alk sind alle, vieles macht keinen Sinn mehr. Es wird hell. „Du willst wissen wie Berlin bei Tag ist? Ob es hart ist, wenn sich JayJo in deine Nase frisst?“ (Bushido, Anm. d. Verf.).
Text Andrej Rüb
Redaktion
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