Sagte es mir nicht schon mein Vater in frühen Jugendjahren? Ich bin gerade damit fertig geworden, für wenig Geld den Hof seiner Autowerkstatt in Steglitz zu fegen, da trifft es mich wie ein Blitz. Er kommt aus der Eisentür des Lagers auf den Hof und läuft direkt auf mich zu. Er schaut dabei zwischen den Autos auf den unebenen Betonboden, nimmt sich wortlos den Besen, den ich locker in der Hand halte, und fegt mit drei, vier kräftigen Zügen den Dreck unter einem Auto zu einem kleinen Haufen zusammen. Egal, was ich tue, ich solle es gefälligst sorgfältig machen – auch wenn es nur das Fegen eines Hofes wäre. Das ist sein Rat an mich. Damit lässt er mich alleine auf dem Hof stehen und ich beginne zähneknirschend die zweite Runde.
In diesem Monat wird sich die Soberdose nicht dem Thema Rausch widmen, sondern konzentriert sich auf die Sucht. Und Provisorien machen süchtig, auch wenn diese nicht mit einer Heroin- oder Alkoholsucht, nicht mit Internet- oder Pornosucht, nicht mit Fall- oder Kratzsucht zu vergleichen ist. Der Hang zum Provisorium kommt aus einer anderen Ecke in uns.
Es verwundert also auch keinen, dass wir Provisorien auf der ganzen Welt wiederfinden – vor allem in nichtwestlichen Staaten. Damit es funktioniert, muss es ja nicht immer ordnungsgemäß zugehen: Ob nun ostasiatische Händler Berge von Waren an ihre kleinen Mofas schnallen, südamerikanische Stromleitungen an Strickmuster erinnern oder afrikanische Beautysalons aus einem Stuhl auf der Hauptverkehrsstraße bestehen, vor den sich jemand hockt, um dann den Körper zu veredeln – Hauptsache es klappt. Weg von der preussischen Denke, hin zu Kabelbinder, Gafferband und Universaltool.
Wofür ist die Provisoriumssucht letztendlich gut? Ganz klar, man möchte es bequem und praktisch – und vor allem schnell! Der Mensch neigt ohnehin deutlich dazu sich für eine kleine sofortige Belohnung zu entscheiden, als nach längerem Warten und höheren Anstrengungen eine größere zu erhalten. Der Belohnungsaufschub hat etwas mit Impulskontrolle zu tun. Je mehr wir uns unseren spontanen Erfolgschancen hingeben, desto wahrscheinlicher werden wir damit längerfristig versagen, weil dann die kontinuierliche Arbeit an der Qualität fehlt. Auch hier fällt mir ein Sprichwort meines Vaters ein: „Ein Provisorium, das hält, bleibt!“ Wie recht er damit hat. Damals deutete er damit an, dass ich die Kabel der neuen Lautsprecher meines Golf 2 eher unter das Armaturenbrett verlegen sollte, anstatt diese an den Lüftungsschlitzen festzuklemmen.
Und habe ich daraus gelernt? Nein. Ich sitze in meiner Küche und höre es brummen. Das wundert mich, da die Waschmaschine, aus deren Richtung das Geräusch kommt, gar nicht an ist. Es wird lauter und trotzdem bleibt es mir reichlich egal. Meine Güte, ich wohne in einem Altbau und da brummt es halt hin und wieder. Was weiß ich, was meine Nachbarn für spannende Sachen in diesem Moment anstellen. Als es aber komisch zu riechen beginnt und mir beim Blick hinter die Waschmaschine Rauch entgegenkommt, weiß ich, dass es nicht an meinen Nachbarn liegt. Es riecht grauenhaft nach verkohltem Plastik. Aus der Mehrfachsteckleiste hinter der Waschmaschine qualmt es, was für mich Feuer bedeutet, was für mich Löschen bedeutet. Da springt die Notbremse in meinem Kopf an, denn Wasser und Steckdose bedeutet vor allem Tod durch Elektroschock.
Wie ein Huhn renne ich zu meinem Sicherungskasten, um die Spannung abzuschalten, aber in der Eile weiß ich nicht, welche Drehsicherung herauszudrehen. Angesichts der präsenten Rauchentwicklung möchte ich keine Zeit verlieren. Zurück in die Küche. An welche Steckdose habe ich eigentlich die Mehrfachsteckleiste angeschlossen? Rechts von der Waschmaschine? Nein, da sind Kaffee- und Spülmaschine dran. Der Qualm hört nicht auf. Links davon, hinter der Tür? Fehler, da geht das Heizungsrohr zum Bad durch die Wand. Gut, dann irgendwo zwischen Waschmaschine und… egal! Waschmaschine raus! Zur Seite damit und Bingo.
Das Kabel und der Stecker der Leiste sehen noch unversehrt aus. Also raus damit. Klick – Aufregung vorbei. Ich beginne zu zittern. Das kenne ich ja schon von mir: Ich behalte zwar meist einen sehr kühlen und verlässlichen Kopf in brenzligen Situationen, aber sobald die Gefahr gebannt ist, klappe ich zusammen. Meistens heule ich – dieses Mal poste ich auf Facebook in Großbuchstaben und trinke einen Schnaps darauf. Nur hat das bis jetzt nichts mit Provisorien zu tun.
Dafür muss die Vorgeschichte herhalten. Denn meine Wassermischbatterie tropft seit dem Einbau unter der Spüle auf den Boden. Ich weiß mir zu helfen indem ich einen Eimer darunter stelle. Diesen leere ich ab und an aus und gut ist. Da das Tropfen aber periodisch in der Stärke variiert, wundert es mich nicht, dass es dort seit ein paar Tagen förmlich herausgießt. Eine Nacht außer Haus und nur kurz nicht um den Eimer gekümmert und schon geht’s los. Dieser ist nämlich bis zum Nachmittag randvoll mit Wasser gelaufen und wie ich danach mitbekomme, ist es die Steckerleiste auch. Ein Provisorium, das hält, bleibt! Für die nächste Soberdose suche ich nach einem Mittel zur Impulskontroll-kontrolle!
Miron Tenenberg
Grafik Vinzent Britz
Griserie! Toxicomanie! Légalité! Unter diesem Motto testet Miron in der proud, ob die Dosis wirklich das Gift macht. Nennt ihm Eure Hausmittel – Rausch und Sucht – und lasst ihn fliegen: miron@proudmagazine.de
Miron Tenenberg
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