Shaded Colors ein Gespräch mit DJ Bootsie

von Lev Nordstrom


Es ist Mitte Dezember. Die Feiertage stehen bevor. Vor zwei Wochen wurde mir ein junger Künstler aus Budapest vorgeschlagen, DJ Bootsie. Dazu ein YouTube-Link zu Mosquito Dance, ein Track von Bootsies neuem Album Holidays In The Shade. Ohne Worte. Schauts Euch an. Zwei Stunden Interviewmaterial auf Deutsch, Englisch und Ungarisch. Es ist nicht leicht ein unterschätzer Künstler zu sein. Leicht ist es geschichtlich auch den Magyaren nicht ergangen. Aber zurück zur . Zurück zum Stolz. Zurück zu einer Verbundenheit sowohl musikalisch, als auch persönlich. Das Interview erscheint nicht im Januar. Das Interview erscheint auch nicht im Februar und hat jemand die März-Ausgabe der proud gesehen? Vor ein paar Tagen dann eine Mail von Bootsies Manager Laszlo, ob das Interview im April überhaupt noch erscheinen wird? Und hier ist es. Demütige Arbeit ist wie Energie, sie verschwindet nicht, wandelt sich nur. Danke Laszlo, danke Bootsie.

Deinen ersten Plattenspieler hast du in Deutschland gefunden?

Ja, in München in der Kraepelin Straße auf dem Sperrmüll. Wir haben Urlaub bei einer Freundin meiner Mutter gemacht. Die ist eines Abends runtergegangen, um den Müll rauszubringen und fand neben der Mülltonne einen Plattenspieler.

Der Plattenspieler war sozusagen dein erstes Instrument.

Ja. Mit dem Plattenspieler hat für mich eigentlich alles begonnen. Durch meine Beschäftigung mit dem Plattenspieler als solches, als Maschine, als Werkzeug, kam die Öffnung zur Musik, zu einer bestimmten Art von Musik. Und durch die Auseinandersetzung mit dieser bestimmten Art von Musik öffnete sich mein Auge nach innen, auf eigene Sounds. Ich benutze eigentlich auch nur einen Plattenspieler, denn für mich ist das Scratchen, wie ein Solo-Instrument. Ein wesentliches Medium zur Tonerzeugung.

DJ Bootsie Holidays in The Shade album preview on BBE records (BBE150) by laszlo_szell

Woher beziehst du die Inspiration für deine Stücke?

Einzelne Töne können bei mir ein ge- samtes Stück im Kopf auslösen, obwohl für mich auch Visualität grundlegend ist. Gibt es Wut in deiner Musik? Sehr viel. Ich verarbeite in meiner Musik viel Trauer, Enttäuschung und Auswegslosigkeit. Nicht nur aus persönlicher Sicht, sondern auch aus Sicht der Nation. Auf meinem ersten Album war sehr viel Zorn enthalten, aber nicht richtig lokalisiert und nicht richig kanalisiert.

Was bedeutet Holidays In The Shade?

Das ist auf den ersten Blick für nicht- Ungarn schwer zu verstehen. Wir als Nation, als ein Volk, als Menschen sind immer spät. Wir verpassen immer wieder unsere Chancen. Wir verpassen den Moment. Holidays In The Shade beschreibt die Situation, nicht auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen. Wir kommen nicht einmal in die Sonne, weil wir verflucht zu sein scheinen. Selbst als wir die Gelegenheit hatten, haben wir den Kürzeren gezogen, wurden wir aufs Kreuz gelegt. Das scheint das Schicksal der Ungarn zu sein.

Wieso arbeitest du auf HITS dann nur mit zwei US-MCs zusammen? Um eher gehört zu werden?

Für mich war das keine Frage: Rap ist in Amerika erfunden worden und das sind die richtigen Protagonisten. Aber ich wollte ursprünglich ein drittes Stück auf dem Album haben, mit mehreren ungarischen Künstlern, mit denen ich mich persönlich ganz gut verstehe. Nur wollten ausgerechnet diese Künstler nicht miteinander arbeiten, aus Wettbewerbsgründen oder warum auch immer. Das ist schon verrückt. In einem Land mit 10 Millionen Einwohnern, von denen sich vielleicht ein paar Dutzend professionell mit Hip Hop beschäftigen, spreche ich drei an und nicht einer davon ist in der Lage mit den anderen beiden zusammenzuarbeiten. Dann sage ich dankeschön, lassen wir das einfach.

Wenn es in Ungarn auch politisch gesehen schwierig ist für einen Künstler wie dich, wieso bleibst du dann in Ungarn?

Ich erlebe die ganze Situation persönlich nicht als unlebbar, oder unerträglich. Trotzdem beschäftigen mich die allgemeinen Entwicklungen und Ereignisse im Lande sehr. Es gab schon Leute, die mir geraten haben, dort hin zu gehen, wo mich die Leute lieb haben, also nach Holland, oder nach Deutschland, oder nach Amerika. Letzten Endes bin ich zuhause geblieben. Der Gedanke wegzugehen ist mir ernsthaft nicht gekommen. Das ist auch historisch verankert. Da gibt es ein Gedicht, was jeder Ungare kennt, vom berühmten Dichter Mihály Vörösmärty, der Mahnruf. Nach der Nationalhymne, die bekanntesten Strophen in Ungarn, darin die Zeilen: Die weite Welt gibt anderswo nicht Raum noch Heimat dir. Hier musst in Segen oder Fluch du leben, sterben hier.

Um zu deinem Track mit Vast Aire Track zu kommen, der den Titel Vast Hope trägt, gibt es noch Hoffnung?

Die allgemeine Auswegslosigkeit, Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit ist allgegenwärtig, aber wenn es durch welche Zufälle auch immer gelingt, dass mein aktuelles Album auf einem so hochrespektablen Label wie BBE erscheinen kann, dann ist das ein definitives Zeichen dafür, dass es immer Hoffnung gibt.

myspace.com/djbootsie

Interview Lev Nordstrom

Layout Moritz Stellmacher

Lev Nordstrom

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