retreat label review

von Till Kolter


Durch einen winzigen Sticker an einem Laternenmast irgendwo in Kreuzberg kommt Retreat das erste Mal in mein Blickfeld. Das Logo, ein gefaltetes „R“ in Origami-Ästhetik, ist ein puristisches Prachtstück. Als mir kurz danach ein Freund die Retreat 01 vorspielt, läuft mir die Euphorie warm den Rücken runter. Die „Contribute“ von Session Victim drückt bei mir alle Knöpfe. Über das Label muss ich mehr erfahren. An einem regnerischen Donnerstag im Oktober besuche ich Hauke Freer, einem Teil von Session Victim, in der Kellerlounge des Edelweiss, wo Retreat seit einigen Monaten ihre Labelparties feiern. Gemeinsam betreibt er mit Yanneck Salvo alias Quarion das junge Label, das ausschließlich auf Vinyl veröffentlich und die Herzen der Houselover im Sturm eroberte.

Vielleicht kannst du mir kurz etwas zur Idee hinter Retreat erzählen?

Hinter Retreat stehen Quarion und ich. Die Idee zu dem Label hatten wir im letzten Jahr. Einfach aus dem Grund, dass es bei uns so viel Musik gab, die wir auch veröffentlichen wollten und für die wir eigentlich unser eigenes Zuhause gesucht haben. Wir wollten die Sachen nicht durch die Gegend schicken. Außerdem wollten wir ein Gegengewicht zu dem ganzen Digitalkram setzen weil wir daran glauben, dass man selber etwas dafür tun muss, wenn man die Vinylsache erhalten will.

Retreat wird also niemals digital veröffentlicht werden?

Nein, wird es garnicht geben.

Find ich gut. Habt ihr irgendwelche Vorbilder für das Label gehabt?

Bei mir hat es angefangen mit einem Praktikum für Kanzleramt. Danach habe ich für das australische Label Future Classic gearbeitet und war eine Zeit lang Labelmanager bei Resopal Schallware. Ich habe eigentlich schon immer durchgehend etwas mit Schallplattenlabels zu tun gehabt. Für mich ist es super befriedigend wenn man am Ende eine Schallplatte rauskriegt, die nicht nur gut klingt, sondern auch gut aussieht. Deswegen ist uns auch das Artwork sehr wichtig. Es soll halt etwas bleibendes sein und nichts was zwischen den Fingern zerrinnt.

Nichts was verloren geht, wenn man es aus versehen von der Festplatte löscht.

Genau das ist es. Zu vielen Schallplatten hat man einfach eine persönliche Beziehung. Eine Platte, die man anfasst und genau weiß: die habe ich in dem und dem Plattenladen in London aus der Kiste gezogen. Das ist uns wichtig. Geld werden und wollen wir damit nicht verdienen, bei einer schwarzen Null sind wir zufrieden.

In solchen Zeiten wahrscheinlich auch nicht immer ganz einfach. Die Resonanz ist aber bisher sehr gut oder?

Ja, das Feedback ist super. Vor allen Dingen auch von Leuten, die uns wirklich was bedeuten. Leute von denen ich selber schon jahrelang Schallplatten gekauft habe und die sich einfach melden ohne dass wir ihnen selber eine Promo geschickt haben. Das ist eigentlich der größte Lohn. Aber wir haben das Glück, dass wir genug Platten verkaufen, dass wir damit die nächste Platte planen können und auch am Mastering nicht sparen müssen. Aber wir stehen ja auch noch ganz am Anfang damit.

Viele DJs haben die Tendenz lieber weniger Platten zu kaufen, diese dann aber doppelt. Geht es dir privat auch so?

Ich persönlich bin eigentlich kein Sammler der sich die Platten zum Bestaunen ins Regal stellt. Ob jetzt den Funk und Soul als Reissue kaufe oder als Original, dass ich mir eigentlich nicht leisten kann ist mir ziemlich egal. Es gibt immer Zeiten in denen man mal weniger findet, aber eigentlich gab es noch nie den Moment, dass ich gar nichts gefunden habe. Zur Zeit kaufe ich eigentlich keine Clubtools, davon habe ich schon genug im Schrank stehen. Bei Clubplatten wird man mit der Zeit immer wählerischer. Aber wenn ein Track überzeugt sollte man ihn kaufen, auch wenn man den dann vielleicht dann nur viermal insgesamt mitnimmt.

Berlin ist ja immer noch ziemlich Minimal infiziert, auch wenn in letzter Zeit ein Umschwung in Richtung Deephouse zu erkennen war. Findest du es ist soundtechnisch ein guter Standort für euer Label?

Die Frage haben wir uns noch nie gestellt. Yanneck und ich wohnen schon seit einer Weile in Kreuzberg. Wir haben hier einen Platz gefunden in dem wir uns wohl fühlen. Wir haben hier ein kleines angenehmes Netzwerk, das ganz natürlich gewachsen ist. Das hätte aber in jeder anderen Stadt auch passieren können, wenn wir uns dort wohl gefühlt hätten. Wir machen uns überhaupt keine Gedanken darum, was in Berlin ankommt oder nicht.

Ich bin gerade sehr beeindruckt von der guten Stimmung hier auf eurer Party. Der Aufbau hat mir sehr gut gefallen. Auch, dass am Anfang Hip Hop kam. Wie stark ist eurer Hip Hop Einfluss?

Yanneck war früher Hip Hop DJ und Produzent. Ich bin auch mit Hip Hop, Trip Hop und Drum`n`Bass konfrontiert worden, als ich in der zehnten Klasse im Plattenladen die Schule geschwänzt habe.

Die guten alten Zeiten.

Ich treffe immer noch House Produzenten, die total überrascht sind, dass man so viel von Hip Hop hält, aber eigentlich ist für mich die Verbindung total klar. Es gibt ja schon viele Parallelen. Hip Hop war auf jeden Fall sofort einer der gemeinsamen Nenner, auf die Yanneck und ich uns einigen konnten. Auch was Soul, Funk und Drum`n`Bass angeht haben wir sofort gemerkt, wir sind schwer auf einer Wellenlänge.

Ich bedauere, dass ich es bisher nie zu euren Parties geschafft hatte. Ich muss leider immer zu früh raus. Findet die immer an einem Donnertag statt?

Bisher schon. Wir wollen nicht in Konkurrenz stehen zu den ganzen Wochenendparties. Das ist natürlich blöd für viele unserer Freunde, die Freitags arbeiten müssen. Die schauen aber meistens trotzdem kurz rum.

Das will ich auch in Zukunft versuchen.

Du, wir müssen jetzt eigentlich mal wieder auf‘n Dancefloor.

Sehr gute Idee! Vielen Dank für das Interview.

retreat-vinyl.de

Hunee Barrio Payment Retreat

Bisher dachte ich ja immer ich sei im Büro der einzige auf weiter Flur, aber nach der sensationellen Party vor zwei Wochen ist mir klar: auch der Rest von uns fühlt sich manchmal Disco. Das Zickenplatzpanorama vor Augen ließen Hunee und Finn Johannsen den Schweiß von der Decke tropfen. Ein breites Grinsen lag über der Tanzfläche, die Luft zum Schneiden und voll von Liebe. Kürzlich erschien Hunees „Barrio Payment“ EP auf Retreat. Drei sehr unterschiedliche Tracks, die in ihrer Deepnees perfekt zu Retreat passen. „Foundation“ ist das kompatibelste Stück der Platte. Genügsam intergrierte es sich perfekt in jedes House Set und hält die Füße da wo sie hingehören: on the dancefloor. Und ein Bad in dieser Bassline löst garantiert jede Verspannung. Der namensgebliche Track „Barrio Payment“ reminisziert nigerianischen Afrobeat mit Xylophon und selbstgebauten Holzinstrumenten. Afrikanische Einflüsse sind leider aufgrund von diversen Ich-möchte- auch-etwas-vom-House-Kuchen- Trittbrettproduktionen in Verruf geraten. Da es sich bei Hunee aber nicht um irgenjemand handelt, sondern um einen ausgesprochenen Kenner der Materie, braucht man sich um den respektvollen Umgang mit dem Sound keine Sorgen zu machen. Wäre wohl auch etwas für Innervisions. Nach dem ganzen House sorgt „Amiadar“ dann noch für den Discoeffekt. Slow it down, let us come together, baby. Praise the foundation of love!

Till Kolter

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