Psychogramm eines Idioten

von Redaktion


Psychogramm eines Idioten – auch Demut hat ihren Preis.

Das Geld liegt auf der Straße. So oder so ähnlich muss ich gedacht haben, als ich vor kurzem zu einem willfährigen Opfer des „White Van Speaker Scam“ wurde. Eine Tragikomödie in drei Akten.

1. Akt

Hi. Mein Name ist Max Schröder und er wurde von der Redaktion geändert. Warum? Weil ich es für eine gute Idee halte, vor 20.000 potentiellen Lesern meine intellektuellen Hosen runter zu lassen. Manche Menschen muss man eben vor sich selbst schützen. Und ich gehöre seit neuestem dazu.

Meine Geschichte ließe sich problemlos in zwei Sätzen zusammenfassen, doch weil man sich manche Dinge wirklich auf der Zunge zergehen lassen sollte, hole ich etwas weiter aus. Alle Leute, die mir in meinem Leben wirklich nahe gekommen sind, konnten mir übereinstimmend ein großes Ego attestieren. Ich hingegen würde es weniger diplomatisch ausdrücken. Prinzipiell halte ich mich für den heißesten Scheiß unter der Sonne. Warum auch nicht?

Seit ich klein war, bin ich keinem Wettbewerb aus dem Weg gegangen. Vor dem Abitur (Einser-Schnitt, ich bitte Dich) habe ich mich zum Stufensprecher wählen lassen, weil ich der Meinung war, dass ich das ganze Regieren, Delegieren und Repräsentieren besser konnte als meine Mitschüler. Ich bin jahrelang um die Welt getourt, um mir den Stempel „weitgereist“ zu verdienen und seit ich in Berlin bin, verdiene ich mehr Asche als die meisten anderen Leute in meinem Alter. Meine Freundin ist so hübsch, dass sich jeder Kerl nach ihr umdreht, wenn wir zusammen eine Bar betreten – ein Umstand, der mich noch mehr anmacht, weil mein Aussehen gerade mal gut gemeinter Durschnitt ist. Dabei hab ich mir immer Mühe gegeben, kein Yuppie zu werden, ehrlich. Aber heute, mit Mitte Zwanzig, könnte im Lexikon unter dem Begriff wohl auch mein Foto abgedruckt sein. Und ich find’s geil. Ich bin jung, hip und erfolgreich. Und komplett voll mit Scheiße.

2. Akt

Ernst-Reuter-Platz, 10:17 Uhr. Die Vorlesung hat vor zwei Minuten angefangen, ohne mich. Kein Grund zur Hektik. Ich schlendere die Straße runter, als hinter mir ein weißer Lieferwagen einbiegt. Das Fenster senkt sich, ich höre den Beifahrer murmeln: „Ach komm, ich frag den jetzt einfach.“ Er winkt mich zu sich, na gut, denke ich, sag ich denen halt den Standardspruch: Sorry, ich komm nicht aus Charlottenburg. Der Beifahrer grinst mich an. „Willst Du ‘n Paar Boxen?“, fragt er erwartungsvoll. „Na, was denn für Boxen?“, „HiFi-Boxen, Standlautsprecher“, verkündet er.

Ich bin ein spontaner Mensch. Ich mag laute Musik. Ich höre mir seine Story an. „Wir liefern gerade 24 Lautsprecher aus, aber der Chef hat vier Stück zu viel eingeladen. Die stehen nicht auf dem Lieferschein und nix. Jetzt fahren wir rum, und versuchen die los zu werden. Warte mal, wir fahren mal ran.“Sie fahren mal ran.

Die beiden Kerle machen einen sympathischen Eindruck. Bodenständig, ernsthaft, pragmatisch. Lauter gute Yuppie-Qualitäten. Der Jüngere springt aus dem Fahrzeug und schiebt die Tür zum Laderaum auf. Vor mir liegen zwei Dutzend große Pakete, allesamt gefüllt mit Standlautsprechern. „Hier, schau mal“, er schneidet einen der Kartons auf und rupft die Plastikhülle zur Seite, „Das sind absolute Top-Modelle aus Kalifornien. Paramax LM-48. 8 Ohm Impedanz bei 90 Dezibel, mit frei schwingendem Kevlar- Hochtöner auf Aluminium-Nabe.“ Ich habe keine Ahnung wovon er spricht, aber nicke höflich. Die Lautsprecher sehen teuer aus. „Und was wollt ihr dafür haben?“, sage ich, mit Skepsis in der Stimme. Die Dinge nehmen ihren Lauf. „Was kannst du uns denn geben?“ ist die vorhersehbare Antwort. „Naja,“ stottere ich, „jedem von euch ‘n Hunni?“ Der Jüngere lächelt selbstzufrieden. Er hat seinen Part gemacht. Der Ältere der beiden setzt ein: „Pass auf, ich zeig dir mal was.“ Er holt eine Fachzeitschrift raus und schlägt den Kleinanzeigenteil auf. „Schau mal, die Paramax LM-48 werden in ganz Deutschland gesucht.“ Er deutet auf eine Anzeige, in der das exakte Modell angeboten wird, das dutzendfach auf der Ladefläche liegt: Paramax LM-48. 2 Jahre alt. VB 3000 €. „Neu kosten die Dinger 4000 Euro das Stück. Wir bieten dir also gerade 8000 Euro an.“ Ich sehe es schwarz auf weiß und spüre, wie sich meine Pupillen beim Anblick der Worte „VB 3000 €“ weiten. Hier gibt es was zu holen und heute ist mein Glückstag. Ein paar Minuten später sitze ich mit den Jungs im Auto, auf dem Weg zu mir nach Hause. Wir haben uns auf 600 Euro geeinigt und ich mache gerade das Geschäft des Jahres. Wir unterhalten uns darüber, was ihr Chef für ein Penner ist und sind ruck zuck in Friedrichshain. Zehn Minuten später liegen zwei riesige Kartons in meinem Wohnzimmer und ich drücke den beiden Kerlen zwölf knusprige Fuffis in die Hand. Ich wünsche ihnen alles Gute und gehe zurück in meine Wohnung, um mal zu googlen, was für Sahneboxen ich mir da ins Haus geholt habe. Das Gefühl der Selbstzufriedenheit dauert exakt so lange, wie ein MacBook braucht, um hochzufahren. Schon der erste Sucheintrag macht mir klar: Ich bin nicht Gustav Gans. Ich bin Gerd Geldhai.

3. Akt

Die Paramax LM-48 sind vielleicht 200 Euro wert. Und sie sind keine HiFi Studioboxen aus einer kalifornischen Luxus-Manufaktur, sondern das Kernstück des „White Van Speaker Scams“: Einer Betrugsmasche, die seit Jahrzehnten mit wechselnden Produkten und wechselnden Marken rund um den Globus selbstverliebte Vollidioten wie mich in die Falle lockt. Das Prinzip ist immer dasselbe: Die Hintermänner gründen eine Firma und importieren billigen aber gut aussehenden Elektro- Schrott aus China. Dann schicken sie Vertriebsteams los, die in gemieteten Lieferwagen durch die Stadt fahren, bis ein Passant anbeißt. Die Kleinanzeige als schlagendes Verkaufsargument ist fingiert. Sollten sie mal von der Polizei angehalten werden, haben sie einen Gewerbeschein dabei – und betreiben deshalb juristisch gesehen ganz legalen Straßenverkauf.

Nun habe auch ich mich in die lange Reihe an strunz dummen Opfern eingereiht und bin um 600 Euro ärmer. Was mich stört, ist nicht das Geld. Klar ist es ein Haufen Knete, aber letzten Endes werde ich das Geld früher oder später wieder reinholen. Was mich stört, ist darauf reingefallen zu sein. Ausgerechnet ich. Von allen Leuten ich. Ich habe Marketing studiert. Ich habe jedes Buch zu der Materie gelesen, ich weiß, was neurolinguistische Programmierung ist und kenne die Mystery Methode. Ich könnte alles über Zielgruppen oder Positionierungen, über Wertschöpfungsketten oder Konversionsraten runterbeten. Ich bin halb Gordon Gekko, halb Octave Parango, und ich habe mich abziehen lassen wie eine Oma auf Kaffeefahrt. Nun könnte man sagen, ich war zur falschen Zeit am falschen Ort. Wäre ich in der U-Bahn zusammengeschlagen worden, würde ich nun wohl auch keine Sinnkrise erleben. Aber wenn man selbst der Meinung ist, einen schwarzen Gürtel in Kommunikation zu haben, stellt man sich die existenziellste aller Fragen: Warum?

Die Antwort liefert auch hier wieder die Kommunikationswissenschaft, oder besser gesagt, ihr Fundament, die Neuropsychologie. Es gibt drei sogenannte Motiv- und Emotionssysteme, die das menschliche Verhalten bestimmen: Die Bedürfnisse nach Balance, Stimulanz und Dominanz. Jeder Mensch hat unterschiedliche Ausprägungen innerhalb dieses Dreiecks, aber je stärker man in eine Richtung ausschlägt, desto empfänglicher ist man für Angebote, die eben jenes Bedürfnis bedienen. In meinem Falle regiert der Dominanz-Gedanke. Und Dominanz ist in unserer Gesellschaft immer öfter synonym mit Geld. Der Erfolg dieser beiden Typen mit ihrem Lieferwagen basiert also nicht auf dem Pech oder der Dummheit anderer Leute, sondern auf ihrer Verblendung, auf ihrer Verbissenheit. Diese kurze Geschichte ist damit keine Warnung vor weißen Lieferwagen, sondern eine vor übersteigertem Verlangen. Nicht nur Liebe macht blind. Die Lektion ist übertragbar. Auch das Bedürfnis nach Geld, Macht oder Sex, nach Geborgenheit, Abenteuer oder Sicherheit kann ein erstklassiges Narkotikum sein und einen messerscharfen Verstand in einen butterweichen Keks verwandeln. Die Grenzen sind fließend. Und Demut hat ihren Preis.

Text Maximilian Schröder

Photo Richard Kirschstein

Redaktion

Want more stuff like this? Show love below.