Perpetual Motion – proud bewegt sich zu Move D

von Lev Nordstrom


Leben, Liebe und Musik im Perpetuum Mobile. Fortwährend in Bewegung sein – bloß nicht still stehen – heißt auch, sich immer wieder neu inspirieren lassen und seine Leidenschaft dabei unter keinen Umständen aus den Ohren zu verlieren. Umso leichter, wenn Inspiration, Leidenschaft und Berufung gemeinsame Sache machen. Gemeinsame Sache machten auch Anfang November Move D und Jus Ed bei The Jam Session im Tape Club – kinetische Tiefentherapie den winterlichen Vorboten zum Trotz. Bewegung in Musik, Musik in Bewegung. Grund ein Gespräch zu ersuchen. Zwei Hände, ein DJ-Pult und eine magentafarbene Karte, die Besitzer wechselt. Ich gehe weiter. Weiter geht’s. Zwei Wochen später eine Mail. Betreff: Your card… Inhalt: …just showed up when emptying my pockets. I think you gave it to me at the Tape session with Jus Ed in Berlin. As far as I remember, you said something about doing an interview – well, here I am… Move D kommt aus Heidelberg und da bleibt er erstmal auch. Zwei Wochen später bespielt er jedoch die Kleine Reise. Ich mache mich auf den Weg dorthin. Wie passend. Don’t you think? Wieso sprechen wir eigentlich Englisch miteinander? Denken die Leute oft, dass du mit deinem englischen Künstlernamen gar nicht aus Deutschland kommst? Du bist doch eigentlich schon Ewigkeiten dabei.

Ja. Ich bin ganz schön lange dabei. Die erste Platte habe ich 1990 gemacht. Die aller-allererste sogar 1983. An sich bin ich doch eher unbekannt.

Foto: Silvio Tanaka – http://flickr.com/tanaka

Du erwartest also nicht, dass dich die Leute erkennen.

Nein. An sich ist das ja die Idee beim Techno, dass einen die Leute nicht erkennen.

Aber deine Musik scheint einen hohen Wiedererkennungswert zu haben. Woran liegt das? Hast du immer wieder die gleiche Snare drin

Das vielleicht nicht, aber immer wieder die gleichen Akkorde, oder überhaupt das, worauf man Wert legt in seiner Musik. Das ist bei mir vielleicht anders als bei anderen. Produktion ist natürlich auch mir wichtig, aber ich habe andere Vorstellungen und andere Messlatten als allgemein gültig. Als dieses Minimal auftauchte, da geht’s natürlich auch um gute Produktionen, aber das ist auch die Art von Produktionen, die mir völlig am Arsch vorbeigeht. Wenn, dann gucke ich eher auf Sixties oder Seventies, selbstgemacht. Ich versuche eher so einen Sound zu machen.

Bist du so ein Robert Babicz, der ein Arsenal an alten Geräten besitzt und ausschließlich damit arbeitet, ein Sound-Purist sozusagen?

Den Robert kenne ich auch und bei mir ist das ein bisschen ähnlich. Ich sammele auch alte Geräte und andererseits denke ich nicht, dass das super relevant ist. Es gibt Leute die machen super Musik mit Reason und nur mit dem Laptop. Das geht auch. Aber diese Hardware hat schon einen gewissen Reiz an sich. Ich bin ja auch mit vielen dieser Geräte groß geworden und weiß dann auch wirklich, wie sie funktionieren.

Du bist in einem klassischen Umfeld aufgewachsen, mit zwei klassischen Konzertpianistinnen als Großmütter. Und dann gab es die Plattensammlung von deinem Vater von Pink Floyd bis Kraftwerk.

Das war mein Stiefvater, ja. Das war besonders wichtig. Noch wichtiger als die Großeltern.

Also ein gutes Verhältnis zum Stiefvater?

Ja. Das ist ziemlich früh passiert. Meine Mutter hat ihn geheiratet, da war ich vier. Und so war er eigentlich mein Vater. Er hat in Amerika studiert und von dort auch viele Platten mitgebracht. Vier war ich 1970. Er hatte eine ganz tolle Hi-Fi Anlage, die sonst in Deutschland eigentlich keiner hatte.

Er war also ein Musikliebhaber, oder auch ein Musikmacher?

Nein. Nur Liebhaber. Mein leiblicher Vater ist Trompeter und Mathematiker. Mein Stiefvater hat aber auch viel Vertrauen gehabt und mir gezeigt, wie der Plattenspieler funktioniert. Ich durfte das dann auch machen, wenn niemand zuhause war. Das war cool. Und dann habe ich als Vierjähriger schon angefangen mir Platten auszusuchen und immer wieder zu hören, bis ich die quasi komplett auswendig kannte.

Die Melodien?

Alles.

Erkennst du einzelne Musiker anhand ihres Stils wieder?

Da sind andere besser. Trompeter sind relativ leicht. Saxophonisten vielleicht auch und Pianisten erkenne ich auch so fünf, aber dann hört es auf. Den Drummer würde ich vielleicht auch noch erkennen, aber beim Bassisten wird’s dann schwer und ich bin kein richtiger Nerd. Die Gitarre hat mich immer besonders interessiert.

Ich erkenne viel Harmonie in deinen Tracks.

Auf jeden Fall. Und wenn man messen wollte, woran das liegt dann sind es mit Sicherheit immer wieder ähnliche Sounds die mir gefallen und mit Garantie ähnliche Akkorde und Verbindungen. Eher Moll als Dur.

Hast du dich auch richtig mit Musiktheorie befasst?

Zuerst habe ich autodidaktisch Gitarre gelernt, dann aber Jazz-Gitarrenunterricht bei zwei Jazz-Gitarristen gehabt. Da bin ich natürlich auch durch die Harmonie-Lehre gegangen. Ich hatte auch in der Schule Musik Leistungskurs. Ich kann zwar Noten dechiffrieren, aber ich kann nichts vom Blatt spielen.

Musst du als DJ und Produzent vielleicht auch gar nicht.

Außerdem ist es immer wieder eine Einschränkung, wenn man dieses Wissen hat. Carla Bley hat zum Beispiel mal gesagt, sie würde zum schreiben gerne alles mal vergessen können, was sie aus der Theorie weiß. Die großartigsten Momente, auch bei den Beatles, sind ja solche kühnen Modulationen, wo man ohne weiteres nicht drauf käme, wenn man sich immer daran hält.

Erkennst du dich in der Kategorie Techno wieder?

Für mich ist Techno halt der Überbegriff. Ich sage Techno zu allem, von Drum ‘N’ Bass über House, zu Techno Techno und letztendlich auch so was wie Kylie Minogue, aktuelle Chart-Musik. Im Prinzip sind das alle komplett elektronische Produktionen. In den 90ern war Techno in einer gewissen Form ja sogar ein politisches Movement. Was aber den Sound angeht, war ich schon immer weit weg von dem, was andere machen. Vielleicht früher noch mehr als heute. In den 90ern hatte ich mal eine Residency im Ultraschall in München. Da kam es öfter vor, dass ich morgens um sieben abgelöst wurde von Sven Väth. Und vorher kommen seine Vasallen und tragen die Taschen heran und sprechen von ihm immer in der dritten Person, „Er kommt gleich“ und so. Und dann kam er dann irgendwann und mit der ersten Platte gleich alles auf Anschlag und ich bin fast ausgerastet.

Wie begegnest du ihm denn?

Immer auch mit Respekt. Er kommt aus einem kleinen Nest aus der Nähe, von wo ich herkomme. Und ich weiß, sein Anfänge waren als Animationstänzer in so ganz schlimmen Dorf- Dissen. In den 80ern hat er dann mit Electrica Salsa einen riesen Hit gelandet und seitdem sich da fest gebissen. Da hatte ich schon immer Respekt, aber musikalisch habe ich eher gedacht „Um Gottes Willen, nichts wie weg“. Die Pointe des Ganzen ist aber, dass sich das mittlerweile geändert hat, wobei ich glaube das liegt auch an ihm und nicht nur an mir. Mittlerweile ist er ein Geschichtenerzähler mit großem Aufbau und langen Tracks und Abwechslung. Das gefällt mir ganz gut. Damals war das Frankfurt Techno, nur auf die Fresse. Alles hat gescheppert und gezerrt. Aber als Typ fand ich ihn immer interessant und cool. Er hat dann auch die Chuzpe mit seiner Freundin auf dem Floor zu tanzen, unter den Leuten, und sie ist zwei Köpfe größer als er. Er schwoft dann so mit ihr ab, ich meine da brauchst du ja auch Eier dazu.

Wie waren deine Anfänge als DJ?

Ein Dj aus der Gegend hat mich überhaupt zum Techno gebracht. Auflegen tue ich aber schon seit 87. Das war damals in einer Mainstream-Disse in einer Kleinstadt in der Tourizone. Da habe ich Funk, Soul, Hip Hop und solche Sachen gespielt wie Ain’t Nobody und so ein Zeug, was alle hören wollten.

Legst du immer noch ab und zu solche Songs auf?

Es gibt die eigenen Hörgewohnheiten und bei mir selbst stellt sich dann eine gewisse Langeweile ein. Bei aller Quotenliebe zu Deep House – die ich immer hatte und auch immer noch habe – war jetzt so ein Punkt weil es salonfähig geworden ist und überall zu hören ist, wo ich es als überaus langweilig empfunden habe. Ich suche jetzt auch andere Sachen. Ich finde zum Teil toll, was die jungen Engländer gerade so machen.

Die Dub Step Geschichten?

Naja, das ist mir manchmal zu streng, aber Space Dimension Controller ist schon ein Wahnsinn, auch Floating Points. Die machen ihren eigenen Stil. Die breite Masse in England hingegen macht quasi Disco- Edits. Das ist zum Teil verblüffend, wenn man sich das Original anhört und merkt, wie wenig die eigentlich gemacht haben.

Gekonnte Edits sind eine Kunstform für sich. Im Gegensatz zu lahmen Remakes schaffen diese es dann auch ein Stück ganz neu erscheinen zu lassen. Wenn man sich auf die Essenz konzentriert, kann man mit einem zeitgemäßen technoartigen Verständnis seine eigene Avantgarde schaffen. Es sind Sampels aus nur einem Stück, die sich oft im Tempobereich 100 bis 110 bewegen, was für einen Techno-DJ eine herausvorderung ist. Ich mag solche kleinen Ausbrüche von den Regeln. Hier in der Kleinen Reise kann ich dann auch mal Sachen spielen um Tempo 110, wo man drunter bleibt. Ansonsten mag ich in der passenden Situation jederzeit Rob Hood oder auch Jeff Mills, von dem ich in letzter Zeit wieder zwei Platten gekauft habe.

Warst du schon mal in Detroit?

Ich war bisher nur einmal dort, aber es war total schön, weil es -30° waren und alles war zugeschneit, sodass man nur Weiß gesehen hat. Ein sauberes Weiß, nicht so braun und aufgewühlt auf der Straße. Man hat aber auch nicht gefroren, weil es so trocken war. Ich kann mir schon vorstellen, dass es dort auch total hässlich sein kann.

Warst du nervös als du dort gespielt hast?

Ich habe von vornherein immer die Einstellung, da kommt sowieso niemand. Und dann bin ich eher überrascht, wenn doch jemand da ist. Meistens bin ich vor dem spielen immer richtig müde, was auch eine Form von Nervosität ist. Früher mit der Band bin ich dann im Dressing Room schon eingeschlafen, einfach weggesackt. Aber ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich etwas beweisen muss.

Hattest du in Heidelberg nicht auch viel Einflüsse von den G.I.’s?

Da wo ich angefangen habe, bestand das Publikum aus einem Drittel G.I.’s und einem Drittel Türken, beides sozusagen nicht gerade das angesagte Partyvolk in Deutschland. Aber ich habe mich da wohlgefühlt, weil die Türken konnten halt ‚breaken’, und die Amis hatten total gute Musik am Start und haben auch Platten mitgebracht. Allgemein waren die Amis ein großer Einfluss. Wir hatten auch AFN, oder haben es immer noch. Das war immer das beste Radio in der Gegend. Also Pop Musik, ja, aber nicht Europop. Sondern von Parliament über Mothers of Invention, James Brown und Jimi Hendrix.

Du hast vor kurzem eine Mix-CD für die Groove gemacht. Das war deine erste Mix CD?

Es hat mich einfach nie jemand gefragt. Als Groove dann gefragt hat, hatte ich auch sofort Ideen, was ich gerne machen würde, Klassiker und altes Zeug, aber da kamen mir Zeit und Druck in die Quere, auch bei den Lizenzen. Realistisch gesehen habe ich mich dann in der Auswahl hauptsächlich auf Freunde beschränkt oder Leute die ich persönlich kenne und selber fragen konnte, anstatt über das Label gehen zu müssen.

In einem Interview mit dir habe ich gelesen, dass dein Anspruch an gute Musik lautet „Man sollte dazu einschlafen oder Liebe machen können“.

Thematisch ist mir das einfach immer näher als „Ich reiß dir die Haare aus“, oder so etwas. Das mit dem schlafen hat damit zu tun, dass ich gerne Musik mache, wenn Leute dabei sind, die mitmachen, oder auch irgendwas anderes machen, etwas lesen, schreiben, oder auch malen und ganz mag ich das, wenn Leute schlafen. Dann denkst du, „Okay, die wollen jetzt gut schlafen und keine Alpträume kriegen“.

Was machst du außer Musik sonst im Leben?

Nichts.

Stichwort ‚Space’.

Mein leiblicher Vater hat mich, als ich vier war, ins Kino zu 2001: Odyssee im Weltraum mitgenommen, obwohl der erst ab sechs war. Dann saß ich da als kleiner Junge im Kino und habe nur die Hälfte verstanden, war aber total begeistert. Das hat mich dann geblitzt oder traumatisiert. Ich habe den Film seitdem unzählige Male gesehen und kann den kompletten Dialog auswendig. Ich hatte dann auch tatsächlich eine Science-Fiction Faszination und habe eigene Mondautos gebaut, die sich bewegt haben und Geräusche gemacht haben, mit Cockpit.

Du hättest also auch Wissenschaftler werden können.

Ich bin da schon sehr interessiert, aber das ist im Endeffekt für mich nur ein Kopfsport, während Musik, das ist dann doch wie Liebe machen, wenn’s klappt.

soundcloud.com/move-d

Upcoming Releases:

* Philpot 50 Compilation

* Uzuri 014 – Hydrophonic EP

* EP für Workshop

* Aesthetic Audio Compilation

* Jams mit Juju & Jordash (10Std. Ma- terial, dass erstmal noch verarbeitet werden muss)

Interview Lev Nordstrom

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Move D no Smirnoff Experience, em São Paulo, dia 28 de novembro de 2009.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Move D in der Kleinen Reise Berlin

move d @ kleine reise 2010-12-03 by Move D

 

Lev Nordstrom

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