Paris is for Billionaires – Fetisch

von Sasa Schroedl


fetisch1Es ist fast ein wenig erstaunlich, dass noch kein Berliner Feierveteran auf die Idee gekommen ist, eine „Rock n Roll Hall of Fame“ für elektronische Musik zu eröffnen. Falls sich nun jemand dazu berufen sieht, darf Fetisch aka Terranova in der Reihe der auserwählten Künstler nicht fehlen. Der Westberliner zählt seit den Neunzigern zu den wichtigsten Vertretern im Bereich TripHop und ist ein Meister im sich-selbst-neu-erfinden. Zusammen mit &ME veröffentlichte er im vergangenen Jahr das Album „Hotel Amour“, das Fetisch selbst als ein auf einen Datenträger gebranntes Chelsea Hotel beschreibt. Ähnlich viele berühmte Gäste beherbergt er auf diesem, Udo Kier, Nicolette Krebitz oder Thomas Høffding von Whomadewho, um nur einige zu nennen. Hinzu kommen die zahllosen DJ-Gigs, die Fetisch jede Woche in der ganzen Welt bestreitet. Am Freitag den 18.10. gibt er sich die Ehre in seiner Wahlheimat Berlin. Genauer gesagt im WEEKEND CLUB, zusammen mit Westbam.

Ich treffe Fetisch Bergmann und seinen Hund Rocco in Mitte und sprach mit ihm über die Lässigkeit Berlins, die Gemeinsamkeiten von House und Blues und Karriere-Alternativen.

Fetisch, du hast ja schon ganz schön viele Umzüge hinter dir. New York, London, Paris und Berlin waren die Städte, die in anderen Interviews genannt wurden. Kannst du mir nochmal einen kurzen Abriss deiner Umzugs-Historie geben? Du bist ja in Berlin geboren und dann erstmal nach London umgezogen.

Als Teenager habe ich schon in Nizza, Brüssel und London gewohnt, weil meine Eltern viel rumgekommen sind. Und auch selber bin ich oft umgezogen, als mir hier langweilig wurde. Vorm Mauerfall, gegen Ende, wurde es hier sehr langweilig.

Du lebtest in West-Berlin, oder?

Genau. Mitte der Achtziger war es hier sehr langweilig. Dann bin ich weggezogen. Erst nach New York 6 Jahre, und dann nach London. Mitte der Neunziger bin ich dann zurück nach Berlin gekommen.

Du hast besonders in musikalischer Hinsicht viele Highlights live miterlebt. In New York die HipHop- und TripHop-Szene, die Geburt des Punk in London und zurück in Berlin die frühen Jahre des Techno. Würdest du sagen, dass dies zufällig geschah?

Ich lebe ja immer noch, und dies im Nachtleben und in der Popkultur. Deswegen ist es ja kein Zufall, die Highlights mitzubekommen, wenn ich viermal die Woche in Nachtclubs bin.

Was mich besonders interessiert: Du hast dadurch ja auch Bekanntschaft mit vielen Größen der jeweiligen Kunstbereiche gemacht: Mit Vivienne Westwood, David Bowie, den Einstürzenden Neubauten und vielen mehr. Wenn man mit den Leuten persönlichen Kontakt hat, nimmt man diese ja anders war als der Otto-Normal-Bürger. Die Veranstaltung, bei der du am Freitag gemeinsam mit Westbam auflegst, steht ja unter dem Motto „Icons“. Was macht für dich eine „Ikone“ aus? Gibt es Leute, die du bewunderst – bekannter, oder unbekannterweise?

Ich hab noch nie wirklich zu jemandem aufgeschaut. Es gibt auf der einen Seite das, was jemand macht, das Werk sozusagen. Ob jemand Bücher schreibt, Musik macht oder Kunst oder ein Auto baut oder sonst was. Da gibt es sicherlich Werke, die ich genau wie andere, bewundere. Ob ich die Leute kenne oder nicht. Und Menschen – vielleicht Kofi Annan oder Willy Brandt oder Alexander dem Großen. Ich war noch nie jemand, der einen großen Personenkult hegt. Auf der anderen Seite gibt es Personen, die sich selbst zum Kunstwerk machen, was ich bewundere. Das Umfeld von Andy Warhol’s „Factory“, Peter Berlin oder Jordan.

Und an zeitgenössischen Künstlern?

Klar, viele Leute von denen ich denke, dass sie tolle Sachen. Ein Freund von mir, Marc Brandenburg, macht tolle Kunst. Oder Cyprien Gaillard, der tolle Konzept-Kunst macht. In musikalischer Hinsicht Leute aus meinem Freundeskreis, oder auch Carl Craig. Bin immer wieder beeindruckt. Ich bin Fan von vielem!

Gibt es derzeit zeitgenössische Künstler, mit denen du in Zukunft gerne zusammenarbeiten würdest?

fetisch2Es gibt derzeit eine französische Sängerin, deren Musik mir zwar jetzt nicht so gut gefällt, aber die hat ne tolle Stimme. Sie heisst Zaz. Aber wenn ich mit Gästen gearbeitet habe, waren es selten Fremde. Meist hat es sich durch eine Begegnung ergeben. Wenn ich sie treffen würde, würde ich sie sicherlich fragen, aber ich bin jetzt nicht jemand, der sich hinsetzt und ein Management anschreibt.

Hast du in diesem Zusammenhang vielleicht irgendwelche interessanten Anekdoten von solchen Begegnungen? Die Zusammenarbeit mit Udo Kier kam ja auch zufällig zustande, da er eines Tages einfach in dein Studio spaziert ist..

Genau. Er kam zusammen mit einer Freundin in mein Studio. Ich kannte ihn aber auch schon länger, seit etwa 10 Jahren. Aber wenn man immer im Nachtleben und Restaurants rumhängt, dann trifft man wahrscheinlich irgendwann… jeden.

Gibt es ausser Udo Kier noch jemanden, dem du begegnet bist und rückblickend drüber schmunzeln musst?

Ich hab mal mit Amanda Lear zusammengarbeitet. Das war ein bisschen bizarr. Irgendwie benahm die sich wie ein Roboter.

Du sagst ja selbst, dass du viel im Nachtleben unterwegs bist. Da ich selbst in Mitte wohne, kommt mir der Bezirk als Kosmos, in dem ich mich täglich bewege, kleiner vor, als er tatsächlich ist. Du wohnst ja auch in Mitte. Geht es dir ähnlich?

Ist wie ein Dorf hier, tatsächlich. Wobei ich sagen muss, dass ich hier (in Mitte) nicht so viel nachts unterwegs bin. Eher Richtung Friedrichshain und Kreuzberg. Ich bin ja so gut wie jedes Wochenende weg. Zwar finde ich Berlin toll, ich kann mir aber vorstellen, dass es, wenn man mal ein Wochenende hier bleibt, plötzlich gar nicht mehr so toll ist. Im Moment gefällt es mir aber sehr gut, weil es eine der letzten Metropolen ist – wobei ich nicht weiß, ob man Metropole dazu sagen kann, weil da ja massiv entgegengewirkt wird – in der es nicht so um Geld geht. Wahrscheinlich, weil hier der Quadratmeter noch nicht so teuer ist, oder weil verhältnismäßig wenige Leute auf relativ großem Raum leben. Wenn es um Geld gehen könnte, würde es sicherlich um Geld gehen. Das is natürlich gut, weil es immer immer schlimmer wird, die letzten Sachen werden zu Geld gemacht, es is überall nur noch finanzieller Druck drauf, nichts hat mehr Zeit, sich zu entwickeln. Und das ist in Berlin noch am ehesten möglich, dass man so durchkommen kann. Was bedeutet, dass junge Leute hier her kommen und sich erstmal austoben können. Ohne mit Schweiss auf der Stirn über die nächste Miete nachdenken zu müssen. Paris ist in dieser Hinsicht total geisteskrank. Ich hab gute Dinge über New York und London zu sagen, über Paris muss ich sagen: Da hätte ich auch n Wochenende bleiben können, nicht ein paar Jahre. Auf der einen Seite gibt es zwar die tolle Geschichte von Paris, auf der ja immer rumgeritten wird. Aber leben kann man dort nur als Milliardär. Es ist auch immer mehr so, dass reiche Ausländer, seien es Inder, Chinesen, Amerikaner oder Araber, sich dort Wohnungen halten, weil es schick ist, eine Wohnung in Paris zu haben, aber gar nicht da sind. Das heisst, ganz viele Fensterläden sind zu in den tollen Vierteln. Auf der Strasse wälzen sich Touristen durch und die eigentlichen Pariser wohnen in der Banlieue, darüber meckern die auch selber. Aber in Berlin gefällt es mir zur Zeit gut, eine ganze zeit lang schon, so seit kurz vor der Jahrtausendwende. Es ist eine tolle Stadt. Es ist einfach, nicht alles so stressig, um von A nach B zu kommen. Und die Leute machen tolle Sachen, weil die Stadt ja auch nicht besonders schön ist, und alles was neu gebaut wird, auch nicht besonders schön ist. Hier geht es nicht darum, dass man von seiner Umgebung berauscht wird, sondern man muss sich etwas gutes schaffen. Das ist eine gute Energie.

Wenn es dir hier nicht mehr taugen würde, wo würdest du hingehen?

Keine Ahnung. Vielleicht nach Rom, oder aufs Land…

Barcelona soll auch sehr schön sein!

Ja ja! Da bin ich sehr oft. Fast einmal im Monat. Ich finde, New York wird wieder ganz toll, zwar nicht Manhattan, aber Brooklyn, Williamsburg. Und auch Los Angeles ist toll gerade. Also LA und Williamsburg sind sehr aufregend. Genauso gut wie hier. Also ich würde wahrscheinlich nach Amerika zurückgehen.

Na dann wissen wir ja, wo wir dich suchen müssen!

Ja, aber noch ist es nicht so weit.

westbamIch muss nochmal auf Paris zurückkommen. Daniel, der dieses Interview ja ursprünglich führen wollte, hat mir vorher noch gesagt: „stell ihm unbedingt ne Frage zu dem Track „Paris is for lovers““. Ich wollte dich fragen, wie es dazu gekommen ist, dass du das Sample von „My love“ von Justin Timberlake da verbaust und wer auf die Idee gekommen ist?

Das war einfach Zufall! Alles bei mir entsteht durch Zufälle, durch spielen. Darum heisst es ja „Musik spielen“. Man fängt an, Musik zu machen und dann entwickelt diese eine Eigendynamik. Ist ganz schwer in Worte zu fassen. Der Titel „Paris is for lovers“ ist auch irgendwie so beim Kaffeetrinken entstanden.

Viele andere Künstler – egal aus welchem Genre – bewundern Justin Timberlake als Künstler. Ist das bei dir auch so, oder ist es Zufall, dass es einer seiner Tracks geworden ist?

Das ist ja so runtergepitcht und mit komplett anderen Akkorden unterlegt – da haben die Leute ja n Jahr gebraucht, um das überhaupt zu erkennen. Ob ich Justin Timberlake toll finde? Den Song – besser gesagt das A-Capella von ihm – finde ich gut. Das Original gar nicht so. Früher fand ich ihn ganz gut. Aber nicht so, dass ich mir von dem Platten anhöre. Ich höre hauptsächlich Instrumentalmusik, viel alten Reggae oder elektronische Musik. Oder Blues. Muddy Waters oder so n Zeug. House und Blues hängen irgendwie zusammen.

Ist beides melancholische Musik.

Genau – und weil vieles so gesetzt ist. Gefühlsbetont. Sowas höre ich. Eher nicht so Justin Timberlake. Der erinnert mich zu sehr an die Zeit in der es diese Musikvideokanäle noch gab. Das gibt es ja gar nicht mehr so. Heute sucht man beispielsweise auf Youtube gezielt nach Musik, da entscheidet ja keine Redaktion mehr für einen.

Oder Spotify.

Spotify bin ich kein Freund von. Da verdient man als Musiker ja gar nichts dran. Da finde ich es ja fast besser, wenn einer Tracks illegal runterlädt, weil dann wenigstens keiner was dran verdient. Aber bei Spotify verdient nur Spotify. Deswegen ist da auch nichts aktuelles von mir drauf, nur Sachen, an denen ich die Rechte nicht habe. Alles, woran ich die Rechte habe, wird man da nicht finden. Ich bin da einfach kein Fan von, ich rege mich aber auch nicht drüber auf, weil sich die Musikindustrie auch irgendwann wieder einspielen wird, nehme ich an. Aber Soundcloud finde ich gut, Youtube finde ich gut, Beatport auch.

Um nochmal auf „Paris is for lovers“ zurück zu kommen – du hast dne Track ja mit &ME produziert…

Ja, mit dem arbeite ich seit 2006 oder 2007 zusammen. Klappt super! Ich arbeite ja meistens deshalb mit Leuten, weil ich mich selbst gern so verliere, in der Zeit.

Wie handhabt ihr die Projekte denn eigentlich? Es gibt auf der einen Seite Terranova, was du als Gruppe zusammen mit &ME betreibst. Dann gibt es Fetisch&ME…

Fetisch&ME gabs vorher bei Gigolo. Dann hatte uns Kompakt angerufen, ob wir bei dem Label ne Platte machen wollen. Und dann hab ich mir gedacht, machen wir halt wieder Terranova. Ich hab zu viele Namen benutzt und das hat die Leute durcheinander gebracht. Drum hab ich mir gedacht, bleiben wir bei Terranova. Ach ja, „Fet et moi“ gibt’s noch, aber das sind die illegalen Platten, die man nicht offiziell kaufen kann, auch nicht über Itunes. Die werden nur in ganz kleiner Stückzahl auf Vinyl gepresst. So, dass sich da keiner drüber aufregt.

Alte Schule!

Ja weißte. So Bootleg-Style halt. Wie die Rolling Stones.

&ME ist ja auch noch bei „Keinemusik“. Hast du mit den Jungs ansonsten auch noch zu tun?

Naja, das war so. Ich hab mal 2007 n Label gehabt. Da hat – falls ich mich richtig erinnere – Rampa damals die erste Platte unter diesem Namen herausgebracht. Ich bin dann nach Paris gegangen und konnte das mit dem Label da nicht weitermachen. Und dann haben sich diese Jungs zusammengetan und „Keinemusik“ gegründet. Die haben das ganz gut gemacht, weil sie die ganzen üblichen Vertriebswege aussen vor gelassen haben, die verschicken die Platten selber! Zudem haben sie ihren ganz eigenen Sound entwickelt, das sind auch die Sachen, die ich spiele. Mit denen habe ich viel Kontakt, Rampa hat auch in den letzten 12 Monaten 3 Remixes für mich gemacht.

Wie lange bist du eigentlich schon aktiv als Musiker im Geschäft?

Hm, ich hatte da immer wieder Unterbrechungen. Aufgelegt habe ich, seit ich 13 bin. Das war damals noch ganz anders, da hatten die Clubs ihre eigenen Platten. Die haben schon komisch geguckt, als ich mal ein paar mitgebracht hatte. Weil die dachten, dass ich dann welche mitgehen lasse, wenn ich meine wieder einpacke. Mir haben die Platten halt nicht gefallen, drum hab ich eigene mitgenommen. Meine erste Platte hab ich 1989 gemacht, davon gibt’s sogar nen Todd Terje-Remix. Als Musiker mit Releases habe ich in England angefangen. Aber dann hab ich zwischendrin auch mal 4 Jahre lang keine Platte rausgebracht und was anderes gemacht, zum Beispiel Plattencover für andere Leute. Und so alte Sportswear verkauft. Bevor Adidas oder Nike das gemacht haben, haben wir alte Adidas in Amerika gefunden und haben die dann für viel Geld in England verkauft – bevor Adidas selbst wieder diese alten Modelle gemacht hat. Da haben Adidas und Nike noch gedacht, dass sie Kleidung für Sportler machen – was sie natürlich AUCH machen. Aber 90% der Kleidung werden ja auf der Strasse getragen. Das haben die damals halt nicht so gesehen und davon haben wir natürlich profitiert. Das habe ich dann ein paar Jahre gemacht und als ich wieder nach Berlin gekommen bin, habe ich dann mit Terranova angefangen.

Hast du dann die Grafiken für Plattencover gemacht?

Ich hab für Plattenfirmen mal Logos gemacht. Oder auch Merchandising im HipHop-Bereich, beispielsweise für Tommy Boy. Oder für Queen Latifa, Jungle Brothers. T-Shirts, Sweatshirts und so Zeug. Zwischendrin habe ich auch Filmmusik gemacht, so Sachen halt, um sich über Wasser zu halten. Weißt du? Damit man keinen Job machen muss.

Verstehe. Was hättest du gemacht, wenn die Musik nicht deinen Lebensunterhalt finanzieren hätte können?

Ich glaube, ich wäre in die Politik gegangen. Aber das ist ja ewig her! Da muss ich ja weit zurückdenken. Die Wirklichkeit ist aber eigentlich, dass ich in der Mode gelandet wäre. Ich mache auch viel (Fashion)-Show-Musik – beispielsweise für Versace, Boss, Joop, aber auch kleinere Designer, wie Bernhard Willhelm. Studiert hab ich zudem auch noch, nämlich Film in New York. Damit habe ich aber nie was gemacht, weil im Filmbusiness immer zu viele Leute dran hängen. Da muss man ja erstmal 2 Jahre arbeiten, ehe man das Geld zusammen hat. Die Geduld hätte ich nicht.

Es ist ja noch nicht zu spät!

Sasa Schroedl

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