„149 Dollar kostet ein Single-Speed-Rad bei Wal Mart. Es ist unglaublich.“ Mortimer Steinke schaut fassungslos. Seit 2004 führt er mit seinem Partner Gary Graham einen Fahrradladen in Kreuzberg – das Keirin, beziehungsweise Keirin Cycle Culture Café.
An einen typischen Fahrradladen haben die beiden nicht gedacht, als sie vor sechs Jahren als Kiezprojekt anfingen. Ausstellungen, Filme, Fahr- radkultur waren anfangs die Schlagwörter. Einige Jahre des Zweifels und eine Gentrifizierung später befinden sie sich mitten im Fahrradherzen Berlins. „Die Oberbaumstraße soll ja die meistbefahrene Straße sein. 7800 Fahrradfahrer pro Tag.“, zitiert Mortimer den Tagesspiegel. Der Trend zu bunten Rädern und starren Naben war damals noch nicht abzusehen.
»Das Krasseste war ein Typ, der mit einem Hollandradrahmen ankam und wollte, dass wir dieses zum Fixed Gear aufbauen sollten!«
Gary und Mortimer sind mittlerweile unter vielen Radfahrern bekannt. Im Keirin treffen sich Radkuriere, wenn sie keinen Auftrag haben, weil das Keirin nicht nur Getränke, Südsonne und ein Dach bietet, sondern auch günstig zwischen mehreren Bezirken liegt. Außerdem kommen Hipster her, um sich neue farbenfrohe Gadgets zu besorgen. „Viele trinken einen Kaffee und gucken erstmal. Es ist bestimmt nicht leicht für Ottonormalverbraucher an den Kurieren vorbei zu gehen und sich über Fahrradräder zu unterhalten. Andererseits“, überlegt Mortimer, „denken die, dass es eben nicht irgendein Laden sein kann, wenn so viele Kuriere davor sitzen, die sich schon auskennen werden. Trotzdem ist es schon sehr skurril, wenn jemand die passenden Sneaker zum Rad hat oder so. Aber hey, je mehr Leute Rad fahren, desto besser ist es.“
Mortimer hat es noch nie verstanden, dass die Radkuriere nicht auf den okö- logischen Zug aufgesprungen sind. Es wäre doch gerade jetzt ein ernstzunehmendes Marketingargument. Gary hofft trotzdem auf Veränderungen. Er zeigt dabei auf den aufgemalten Straßenfahrradweg vor seinem Laden: „Das hat sich geändert. Diese Radspur gab es früher nicht.“ Er lacht. „Das finde ich super. Das ist auf jeden Fall besser, als diese scheiß roten Dinger auf dem Bürgersteig. Die sind katastrophal.“ Überhaupt mögen sie Nachhaltigkeit. Konzernmarken sind nicht im Laden vertreten, sie setzen viel lieber auf biologisch-korrekt ausgerichtete lokale Firmen. Mortimer gehört im Privaten zu den akribischen Etikettenlesern. Dennoch sind sich beide einig, dass man dabei seinen eigenen Weg finden muss. „Wenn man in der Großstadt lebt ist das immer ein Kompromiss. Du kannst nicht ökologisch in der Großstadt leben. Das geht schon grundsätzlich gar nicht.“ Garys Ansicht nach ist es vor allem auch eine finanzielle Frage. „Ich würde gerne immer im Bioladen einkaufen…“ „Schmeckt auch besser!“, fällt ihm Mortimer ins Wort. „…aber das Geld habe ich nicht. Schade eigentlich, dass es diese Abhängigkeit gibt!“
Geld ist bei ihnen ein Thema. Im ersten Jahr betrug die Miete für die 30 qm unter 300 Euro. Sich selbst zahlten sie ebensoviel aus und fuhren nebenbei noch als Boten, um ihre privaten Mieten zahlen zu können. Immer wieder wollten sie den Laden eigentlich dicht machen. Mittlerweile ist das Keirin größer, bekannter. Man könnte meinen, dass es zur Goldgrube mutiert. Doch reich sind sie noch nicht gewor- den. „Wir hätten fast letzten Winter schließen müssen.“ Mortimers Blick wird ernster. Der lange Winter hat über drei Monate fast keine Kunden hereingebracht. Da hat er sich schon gefreut wenn jemand eine Klingel für fünf Euro kaufte. Trotzdem ist er zuversichtlich. Nach sechs Jahren weiß er einfach, dass es auch zukünftig klappen wird, wenn es bis jetzt schon irgendwie sechs Jahre funktioniert hat.
Der Trend zum Rad ist noch lange nicht vorbei: Die Nachfrage nach bunten Bahnrädern wird sich demnächst einpegeln, aber es gibt immer mehr Lastenräder. Zu Beginn wechselte ein schmuckes Bahnrad für 500 Euro den Besitzer, mittlerweile würde das gleiche Rad 1000 Euro kosten. „Es gibt einfach keine ordentlichen Fixed- Gear-Räder unter 600 Euro“, meint Mortimer dazu. „Aber uns geht es nicht nur ums Geld“, sagt Gary. „Das Krasseste war ein Typ, der mit einem Hollandradrahmen ankam und wollte, dass wir dieses zum Fixed Gear aufbauen sollten! Da geht es nicht um Geld, sondern auch um die Sicherheit. Manchmal muss man die Leute einfach wegschicken.“
„Kuriere! Auf jeden Fall.“ Wie aus der Pistole wissen Gary und Mortimer, wer die Ladebox nutzen wird. „Die haben ja viele iPhones oder Blackberrys und sonstwas für Telefone mit denen die im- mer zu uns kommen: ‚Ey kann ich mal Strom bekommen? Habt ihr ein Lade- kabel?’ Die Ladebox ist schon ganz gut, gerade für die ist es super.“ Mortimer grinst: „You know all those hipsters got iPhone and they always need to charge them. Cuz they gotta be on Facebook. Cuz if they have no electricity they have no friends.“
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Text Miron Tenenberg
Layout Josephine Müller
Miron Tenenberg
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