Julian Rosefeldts Ausstellung “Living in Oblivion” zeigt drei Werke. Die zwei frühen Arbeiten “Hidden City” (1994/2010), “Die unbekannten Kathedralen” (1995), die in Zusammenarbeit mit Piero Steinle entstanden und eine überarbeitet Fassung von “The Shift”(2008), die als Prolog zu einer Thomas Ostermeier Inszenierung an der Berliner Schaubühne konzipiert war.
Die Schnittmenge der Arbeiten ist Julian Rosefeldts Interesse an funktionslosen, vergessenen Räumen. “Hidden City”, die wie “Die unbekannten Kathedralen” direkt nach seinem Architekturstudium entstand ,setzt sich mit fehlender geschichtlicher Verarbeitung bzw. Verdrängung im Kontrast zum Außenbild seiner Heimatstadt München auseinander und zeigt die unberührten Katakomben ehmaliger NSDAP-Neubauten. In “Die unbekannten Kathedralen” beschäftigt er sich ebenfalls mit großen, verborgenen Räumen und einem Beispiel von Raumnutzung das in unserer immer ökonomischer denkenden Gesellschaft obsolet geworden ist.
Nachfolgend Julian Rosefeldt im Gespräch mit Guido Fassbender und Heinz Stahlhut.
HS: Was war die Motivation, diese beiden ganz frühen Werke zusammen mit einer aktuellen Arbeit zu zeigen?
JR: Auch in der 4-kanaligen Film-Installation The Shift (2008) beschäftigte mich das Thema der Leerräume und der vergessenen und verdrängten Orte wieder. In The Shift sieht man eine Nachtwächterfigur, wieder eine Art Zerberus, einsam durch die verschiedensten Industriewelten irren. Der gleiche Darsteller spielt vier verschiedene Rollen, letztlich Varianten der gleichen Figur. Alle vier Personen arbeiten in einer Nachtschicht. Auf einer der vier entsprechenden Projektionsflächen sieht man einen Wissen- schaftler in einem Reinraum-Anzug. Auf einer anderen Leinwand ist es ein Pförtner, der typische Security-Mann, der nachts die Runde dreht. Auf wieder einer anderen sieht man einen Kanalarbeiter durch ein Tunnelsystem irren, während auf dem vierten Screen schließlich der Prototyp eines Hausmeisters im grauen Kittel auf Patrouille ist. Die Figur wandelt durch die verschiedensten hoch technisierten Innenräume, die aber nicht alle aus unserer Zeit stammen, sondern zum Teil schon fast 100 Jahre alt sind – eine Verschränkung zwischen Science-Fic- tion und einer Welt voller veralteter Technik, die in ihrer Ästhetik vielleicht ein wenig an Terry Gilliams Brazil erinnert.
HS: Darf ich da ganz kurz einhaken? Du sagst, er irre, aber sein Tun hat ja eher etwas Zielstrebiges. Er vollzieht eigentlich einen Ritus, der ihm selbst ganz geläufig ist, aber für uns keine Bedeutung hat.
JR: Genau. Dieser Mensch ist ganz alleine und im Grunde genommen ort- und zeitlos. Ich habe also gezielt nach Orten gesucht, die wie Die unbekannten Kathedralen – und da wäre vielleicht eine Verbindung zwischen den Arbeiten zu sehen – nicht lokalisierbar sind und die man auch in ihrer Funktion nicht so leicht erkennt. Für mich ist er eigentlich eine Art post-postmoderner Mensch, also ein Mensch, der ein System „kommunizierender Röhren“, um mit André Breton zu sprechen, ohne irgendeine Art von Sinnhaftigkeit durchläuft. Er befindet sich in einem System, das sich komplett verselbständigt hat und ihn schon längst nicht mehr braucht. Das ist für mich der Bezug zur Gegenwart, in der die Technik sich längst von uns abgekoppelt hat und in ihrer Gesamtkomplexität von einem einzelnen Menschen überhaupt nicht mehr verstanden werden kann, sondern höchstens noch von einer Heerschar miteinander kommunizierender Spe- zialisten.
Deshalb gefällt mir die Surrealisten- Metapher von den „kommunizierenden Röhren“, auch wenn Breton damit eher ein Bild für die Verbindung zwischen Tiefenbewusstsein und Wachzustand meinte. Dieses Röhrensystem findet eine Entsprechung in globalen Netzwerken wie wir sie im Internet finden, es ist also eine Art Krebsgeschwür, das alles durchdringt und umspinnt, ein feinmaschiges, hermetisches Netz – deswegen auch immer wieder dieses Tunnelmotiv in The Shift. Es war mir wichtig, dass der Protagonist nicht nur durch große Hallen, sondern vor allem durch eine Art gigantisches Netzwerk läuft. Man kann es vielleicht so sagen: In Die un- bekannten Kathedralen und in Stadt im Verborgenen geht es unmittelbar um die Verdrängung von immer noch gegenwärtiger Geschichte, also um die Frage: Wie erlebe ich die Stadt, in der ich lebe, kenne ich sie eigentlich, durchdringe ich sie und begegne ich ihr wissend oder irre ich ahnungslos in ihr herum und lasse mich von ihr blenden?
Die Arbeit The Shift geht einen Schritt darüber hinaus, weil sie in die Zukunft blickt und die Frage aufwirft, was ein geschichtsloser Mensch tut und will, der sich nunmehr in einer von der Welt abgekoppelten, autarken Parallelwelt bewegt. Ich gehöre ja selbst einer Generation an, die diesen Wechsel ins so genannte digitale Zeitalter, das uns gleichzeitig so vieles gibt und so vieles weggenommen hat, mitvollzogen hat. Dieser Wandel beschäftigt mich.
GF: Ich würde gern noch einmal auf das Ende der einzelnen Sequenzen von The Shift zurückkommen. Es gibt in Deinem Film dieses unendliche Röhrensystem, durch das der Protagonist läuft. Aber am Ende erscheint dann ein Licht, auf das er zuläuft, in das er hineingeht, und plötzlich befindet er sich außerhalb des Röhrensystems, in einer Art Eiswüste, die etwas sehr Unwirkliches hat. Stellt diese Szene eine Sehnsucht der Figur dar oder steht sie für den Versuch herauszufinden, was passiert, wenn man das System verlässt? Was ist außerhalb dieses Röhrensystems und gibt es überhaupt eine Welt da draußen? Was bedeutet dieses Licht für Dich?
JR: Es ist sicherlich nicht meine eigene romantische Vision, sondern, wenn überhaupt, die Vision dieses eingesperrten Zerberus. Ich sehe in diesem Ende, das ja doch nur wieder im Loop an den Anfang zurückführt, einen Akt der Befreiung und Verklärung. Dieser Moment, in dem alle vier Figuren gleichzeitig in dieses riesige Auge treten, hat ja auch etwas Religiöses. Man muss es nicht wissen, aber das ist einer der Detektoren im CERN, der gigantischen Teilchenbeschleuniger-Anlage bei Genf. Dieser Teilchenbeschleuniger ist ja augenblicklich das ultimative Experiment, der nächstmögliche Schritt auf der Suche nach der Antwort auf die Frage nach Sinn und Wesen unserer Existenz – eine Art Fetisch, ein Super-Symbol für eine hoch technisierte Welt, die von uns angebetet und verehrt wird. Da hinein geht er, in dieses ihn eigentlich auslachende, riesige Auge. Die Szene blendet in gleißendes Weiß über. Anschließend sieht man die Figur in dieser etwas sphärischen Welt. Ob das jetzt ein Gletscher ist oder einfach das Nichts oder eine wieder neu zu beschreibende Oberfläche, sei mal dahin gestellt. Letztlich ist diese Welt hinter dem System, aus dem er gerade entkommen zu sein scheint, auch nur wieder eine Welt, aus der es für ihn kein Entrinnen gibt. Die- ser Mensch, bei dessen endloser Nachtschichtpatrouille man eher den Spruch „Der Letzte macht das Licht aus“ assoziiert, verschwindet schließlich im Licht.
HS: Nun ist The Shift ja nicht nur eine Auseinandersetzung mit Alltag und Arbeitsleben, sondern ist durch viele Elemente visueller und inhaltlicher Natur, so beispielsweise die Verselbständigung der Technik, auch ein Bezug auf Kino, und zwar einerseits auf Stanley Kubricks 2001 – A Space Odyssey (1968) und anderseits auf Andrej Tarkowskijs Solaris (1972). Kannst Du beschreiben, was Film und was Kino als Ort, an dem Filme gezeigt werden, für Deine Arbeit bedeuten? Wir haben uns auch gefragt, worin für Dich der Unterschied zwischen dem Kino und Deinen Räumen für das projizierte, bewegte Bild besteht.
JR: Ich habe mich in meinen Arbeiten ja wiederholt mit dem Kino auseinandergesetzt, mit der Erzeugung von Bildern und Mythen bzw. mit dem Blick hinter die Kulissen des Filmemachens und auch mit der Frage, inwieweit diese Kinomythen Einfluss auf unser Alltagsverhalten haben. Im Gegensatz zum Film im Kino, der eine narrative Struktur hat, sind meine Installationen aber eher zyklische Versuchsanordnungen, die untersuchen, wie bestimmte Mechanismen im Kino funktionieren können, wie beispielsweise eben ein Mythos im Film erzeugt wird. Im Laufe der Jahre habe ich dabei einige Kinogenres durchdekliniert: in Lonely Planet (2006) das Bollywood- Kino, in der vorhin erwähnten Trilogy of Failure den Slapstick, in American Night (2009) den Western und in The Shift eben das Science-Fiction-Genre.
Julian Rosefeldt ist Preisträger des „Vattenfall Contemporary 2010“, der im letzten Jahr zusammen mit der Berlinischen Galerie neu konzipiert wurde.
Text Moritz Stellmacher
berlinischegalerie.de
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Moritz Stellmacher
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