Hin und wieder hört man von einer Idee, die so genial ist, gerade weil sie so einfach ist. Und andersrum. Papergirl ist eine dieser Ideen. Einmal im Jahr schicken Künstler aus aller Welt ihre Arbeiten nach Berlin, wo sie zu Rollen gebündelt und dann in den Straßen verteilt werden. Ein Flashmob auf Fahrrädern fährt die Post durch die Stadt und dann schmeißen die Paper- girls und Paperboys wie Zeitungsjungen den Passanten ihre Rollen mit je zehn bis fünfzehn Kunstwerken entgegen. Diesen Monat ist es wieder soweit. proud traf the original papergirl zum Gespräch über Kunst, Kommerz und Kalifornien.
Papergirl geht jetzt ins vierte Jahr. Wie bist du auf die Idee gekommen?
Ich habe mich 2005 mit einer Freundin über ein Gesetz unterhalten, das die Bestrafung von Sprayen und Plaka- tieren gleichgesetzt hat. In diesem Zusammenhang und in dem Wunsch Urban Art und Aktion zu verbinden, meinte sie, man müsste den Leuten die Kunst einfach zuschmeißen, so wie die Paperboys in Amerika es tun. Das war die Antwort, ganz einfach!
Die Antwort hat sich gut entwickelt.
Ja, wir sind mittlerweile mehr als ein Dutzend Leute im Team und an die 30 Fahrradfahrer. Letztes Jahr haben 76 Künstler teilgenommen und wir haben 273 Rollen verteilt. Das ganze Projekt ist so stark gewachsen, dass ich kaum noch Zeit für meine eigene Kunst habe. Ziemlich verrückt. Für dieses Jahr habe ich bereits an die 200 Zusagen.
Wahnsinn. Was ist das Ziel der Aktion?
Spaß. Spaß für die Künstler, Spaß für die Fahrradfahrer, Spaß für die Passan- ten. Viele Dinge sind so verkopft. Wir wollen einfach Spaß haben.
Spaß ist gut. In diesem Jahr wird Papergirl das erste Mal ins Ausland exportiert. Was ist da los?
Ja, das ist abgefahren. Ein Mädchen aus Kalifornien hat sich bei mir gemel- det, sie wird Papergirl diesen Sommer dort das erste Mal organisieren. Ich kenne sie nur über E-Mails. Mittlerwei- le haben mir 15 Leute aus der ganzen Welt geschrieben, die ebenfalls eine Papergirl Aktion planen, Leute aus Mexiko, Südafrika oder Brasilien. Mit so etwas hätte ich nie gerechnet.
Papergirl International! Du baust also ein Franchise?
Das ist die Frage, wie geht man mit so etwas um? Erst war ich total aus dem Häuschen, dann hab ich gemerkt, dass es gar nicht so einfach ist sein „Baby“ einfach aus der Hand zu ge- ben. Also habe ich mich entschieden eine Anleitung zu schreiben, so wie ein Handbuch, aus Erfahrungen und Hinweisen bestehend, damit Papergirl auch Papergirl bleibt. Wichtig war mir dabei: keine Selektion der Kunstwer- ke, jeder darf mitmachen, nur analoge Kunst, also richtige Arbeiten und nicht bloß Designs auf CD, und die Arbeiten sind unverkäuflich, weil sie an Unbekannte verschenkt werden sollen.
Hattest du nie Trennungsschmerz, die Kunstwerke zu verteilen? Ich würde als erstes meine Küche tapezieren.
Nein, weil die Grundidee war, Kunst auf die Straße zu bringen und da ist es klar, dass alles verschenkt wird. Die Frage hat sich mir nie gestellt. Wenn ich mich entschließe meine Kunst auf die Straße zu bringen, habe ich mich bereits vorher von den Arbeiten gelöst. Mit dem „Haben! Haben!“ Impuls eini- ger Leute habe ich echt zu kämpfen, die würden am liebsten die genaue Route wissen. Ich kann das natürlich irgendwie verstehen, finde es aber manchmal schade. Wir haben zwar jedes Jahr eine Archiv-Rolle, aber ich bin nicht sicher, was ich damit machen soll. Vielleicht einen Katalog oder eine Charity-Auktion.
Eine der größten Support-Aktionen für euch dieses Jahr war die „Dirty Dancing Sneaker A(u)ction“ im April in der Superplan Galerie. Wie siehst du die Kommerzialisierung von Street Art?
Wir sind sehr dankbar für jeden Cent von der Auktion. Aber die Versteigerung ist ein Thema für sich. Auf der einen Seite sieht man nicht einfach tatenlos zu, sondern wehrt sich auf kreative Weise; auf der anderen Seite läuft man Gefahr mehr Aufmerksamkeit auf die Marke zu lenken! Ich habe nichts gegen die Marke an sich, mich stört vielmehr die Vereinnahmung einer Bewegung von Außen.
Wenn Künstler von ihrer Kunst leben wollen, müssen sie in den meisten Fällen früher oder später die Nähe zum Kommerz suchen, sei es durch Anzeigengestaltung oder Mode- design. Was hältst du davon?
Das ist ne ganz schwierige Frage. Street Art ist eine Bewegung, ich kann da nur für mich selbst sprechen. Eine Straße und eine Galerie haben unterschiedliche Kontexte. Ich denke, dass was man auf der Straße macht, funkti- oniert nur bedingt im Innenraum, weil die Arbeit einfach in einem anderen Zusammenhang steht. Manchmal geht das gut, manchmal auch nicht. Kommerzialisierung und Street Art sind in der Idee zwei gegensätzliche Dinge. Wenn man sich jedoch als Künstler begreift, möchte man im Idealfall von seiner Kunst leben können. Ich finde es schade, wenn jemand nur noch als der Künstler, der für die Firma XY gearbeitet hat, bekannt ist. Wenn mit deinem Lieblingslied immer für Joghurt geworben wird, kannst du ́s ja irgendwann auch nicht mehr hören.
Ich habe den Eindruck Aktionen à la Papergirl wird es in der Zukunft öfter geben: Die kissenschlachtenden Freeze-Flash Mobs verbünden sich mit urbanen Künstlern. Was denkst du, wie es für Street Art weitergeht? Ich denke, der ganze Hype wird abebben bzw. ist schon abgeebbt. Es wird ein bisschen ausgesiebt, uninte- ressante Künstler verschwinden, die Interessanten haben mehr Erfolg. Die Materialien, die Medien werden sich sicher weiterentwickeln, aber wie, ist sehr schwer zu sagen.
Wie geht es weiter mit Papergirl?
Wir feiern nächstes Jahr definitiv unseren runden Geburtstag: 5 Jahre Papergirl! Danach werde ich mich wohl mehr auf meinen eigenen Kram konzentrieren, wie z.B. mein Diplom, weil das Projekt sehr zeitintensiv ist. Aber natürlich wäre ich froh, wenn Leute Papergirl weiterführen…
Interview Lukas Kampfmann
Design Henrike Schneider
Lukas Kampfmann
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