New York New York, big city of dreams
And everything in New York ain’t always what it seems
You might get fooled if you come from out of town
But I’m down by law and I know my way around
Too much, too many people, too much (aha-ha)
Too much, too many people, too much, Raaah!
– “New York, New York” Grandmaster Flash & The Furious Five, 1983
Als ich das erste Mal in New York City war, war ich 16. Es war mein erster Besuch in einer Stadt mit mehr als einer Million Menschen, und ich war naturgemäß so überwältigt, dass ich pauschal alles total irre fand. Beim zweiten Mal, kurz nach dem Abitur, war NYC die erste Station einer Rucksackreise quer durch Amerika. Meine Freundin war abgehauen, ich hatte die Taschen voll mit Geld, und war endlich der mentalen Klaustrophobie meiner Kleinstadt im Rheinland entflohen. Ich hab zehn Tage lang auf fremden Sofas gepennt, mich mit gefälschtem Ausweis in Clubs gemogelt und jeden Zentimeter des urbanen Geburtskanals NYC genossen. Das dritte Mal war vier Jahre später, in diesem Sommer. Inzwischen war ich in 20 Großstädten in Amerika, Australien und Europa unterwegs gewesen, habe ein halbes Jahr in Melbourne gelebt und wohnte seit zwei Jahren in Berlin. Also zurück zur Jugendliebe New York. Und wie im echten Leben muss man leider manchmal feststellen, dass aus der Traumfrau von damals die Bitch von heute geworden ist.
Und diese Bitch schleppt einen auf verdammt miese Techno-Parties. „Electric Zoo“ heißt ein Festival, das Anfang September erst das zweite Mal auf Randall’s Island stattfand, einem Flecken Wiese im East River zwischen Queens, Manhattan und der Bronx. 150 Dollar Eintritt? Von mir aus. Feierabend um Punkt Elf Uhr Abends? Was solls. Bier für n Zehner? Autsch. 20.000 grölende Frat-Boys? Ok. Aber Paul Kalkbrenner um halb Zwei am Mittag, dafür Armin van Buuren als Headliner? Ernsthaft? Irgendwas scheint bei der Übersetzung über den Atlantik verloren gegangen zu sein.
Was bei der Festivalkultur anfängt, muss in der Clubszene aufhören. Im Meatpacking District, New Yorks gentrifiziertem Hedonisten-Herz, kostet der Eintritt in einen Club 50 Dollar plus Selbstrespekt. Die 15 Dollar pro Bier tun besonders weh, wenn man es in der Gesellschaft von Silikon-Tussis und Wall Street Yuppies trinken muss. Raus hier.
Was New York so mies macht, ist die gewaltige Konzentration an Menschen. Eine gewisse Zahl an Menschen an einem Ort ist notwendig, um Annehmlichkeiten wie ein U-Bahnnetz, ein Nachtleben, oder einen Park voller schlafloser Drogendealer zu ermöglichen. Doch in New York ist diese Zahl so weit überschritten, dass die Vorteile nicht mehr die Nachteile aufwiegen. Nehmen wir an, eine Stadt braucht fünf Millionen Einwohner, um seinen Bürgern zu jeder Tages- und Nachtzeit ein perfektes Steak oder eine wilde Party oder einen offenen Supermarkt zu bieten. In New York gibt es all das, aber New York hat acht Millionen Einwohner. Und diese zusätzlichen drei Millionen Menschen sorgen nicht für ein perfekteres Steak, eine wildere Party oder einen offeneren Supermarkt. Ihre Anwesenheit verbessert nicht die Möglichkeiten der Stadt, sondern zieht die Lebensqualität in den Keller: Drei Millionen Menschen zu viel, verstopfen die U-Bahnen, treiben die Preise in die Höhe und blockieren die Wohnungen und Uniplätze und Jobs der Stadt. Drei Millionen zusätzliche Menschen machen aus Nachbarn Konkurrenten. Und dieser Geist des ewigen Wettbewerbs zieht sich wie das Straßennetz durch jede Faser der Stadt. Ähnlich wie die hunderten Hochhäuser Manhattans scheinen sich auch die Menschen dieser Stadt ständig übertrumpfen zu müssen und NYC erinnert sie ständig daran, wer noch erfolgreicher ist. Jedes Wohnhochhaus in Manhattan hat einen Concierge, der einen Besucher misstrauisch ausfragt, bevor er ihn in den Bauch des urbanen Bienenstocks lässt. Kommt man drei Stunden später zusammen mit einem Footballteam völlig besoffener, aber stinkreicher, College-Absolventen wieder aus dem Aufzug gestolpert, ist aus dem Wachhund plötzlich ein pissfreundlicher Türöffner geworden, der den „Gentlemen“ einen netten Abend wünscht. Cash rules everything around me.
Diese Konzentration auf Geld und Wettbewerb ist besonders hart für die Heerscharen hoffnungsvoller Kreativer, die nach New York gekommen sind, um ihren großen Wurf als Schriftsteller, Künstler oder Musiker zu landen. In einem Land, in dem zwischen NY und LA quasi nichts als 3000 Meilen kultureller Wüste liegen, ist es egal, mit welchem Talent man in New York welches Ziel verfolgt – es sind de facto bereits buchstäblich 50.000 Leute vor Ort, die an exakt dem Fall arbeiten. Kreativität und Potenzial treten da hinter Beziehungen und Arschkriechen zurück.
Auch Berlin hat seine Schatten, und zwar nicht zu knapp. Jeder, der nur einen Winter hier verbracht hat, weiß, wie eiskalt und brutal diese Stadt sein kann, wie sie einem nach einem zuckersüßen Sommerflirt ohne Vorwarnung und scheinbar endlos den Rücken zudreht. Aber Berlin entschädigt seine Bewohner für seine Nachteile. Wir haben die miesesten Winter des Landes, aber dafür auch die wildesten Sommer. Wir haben Clubs mit willkürlichen Türstehern, aber dafür haben wir eine Open-Air Szene, die jedem mit einer Tüte Sterni ein legendäres Wochenende verspricht. Eine Fahrt mit der U7 macht nie Spaß, aber dafür können wir uns danach in spottbillige Altbauwohnungen zurückziehen. New York ist die beste Stadt der Welt für Millionäre. Berlin aber ist groß genug, um alles zu versprechen, und klein genug, um alles zu halten.
Text: Lukas Kampfmann
Lukas Kampfmann
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