Pisa73 ist einer der Motoren der jungen Berliner Kunst-Szene. Neben seiner Tätigkeit als Gallerist des „Superplan“, der den größten Talenten der Stadt ein würdiges Forum bietet, ist er selbst in den letzten Jahren durch seine makellose Stencil-Technik und seine subversive Weltsicht zu einem der bekanntesten und erfolgreichsten Berliner Schablonen-Künstler gereift. In der ersten proud des jungen Jahrzehnts berichtet Pisa73 von seiner letzten Dienstreise und gibt uns einen Einblick in die große weite Welt des internationalen Kunst-Zirkus.
Pisa73 hier, mittlerweile arbeite ich mehr als die Hälfte meines Lebens mit Sprühdosen. Letztes Jahr luden sie mich ein, der grauen spätherbstlichen Ödnis Berlins für einige Tage zu entkommen und in Miami bei behaglicheren Temperaturen Farbe auf geeignete Flächen aufzutragen. “Sie” sind die Organisatoren der seit drei Jahren im Dezember stattfindenden Primary Flight.
“Primary Flight” ist der Titel des organisierten Farbauftrags, der sich über eine unübersichtliche Menge Wände in Miami erstreckt. Die geeigneten Flächen beschaffen hauptsächlich Black und Books von Blackbooks Stencils und einige Kuratoren werfen ihre guten Namen in die Waagschale, um durch die Künstlerauswahl qualifizierte Ergebnisse sicher zu stellen. Logan Hicks, the artist formerly known as Workhorse, ist einer von ihnen und präsentierte bereits im Frühjahr 2009 ein illustres Lineup für Green Days “Art of Rock”. Anfang Dezember lockt Miami mit einer Menge großer und kleiner, wichtiger und belangloser Kunstmessen, derentwegen die Stadt mit Kunstbeflissenen aller Herren Länder überquillt. Ohne Suchmaschinen zu bemühen, fallen mir Scope, Art Basel Miami und Art Miami ein. Wie sich herausstellen sollte, befindet sich meine Wand gegenüber des Eingangs zur Art Miami. Der Umstand, dass wenige Meter links meines Bildes Shepard Fairey ein riesen Bild malte und klebte bzw. malen und kleben ließ, ist der Menge an zukünftigen Betrachtern sicherlich nicht abträglich.
Bevor ich selbst zu malen beginnen konnte, wurde klar, dass mit Auto, Navi und Prepaid-Karte drei Dinge unentbehrlich, glücklicherweise aber vorhanden waren. Meinem ersten Farbklecks gingen geschätzte 200 gefahrene Meilen und gefühlte 100 telefonierte Minuten voran. Wie so oft war auch bei der Primary Flight die Schar der letztendlich real verfügbaren freiwilligen Assistenten von anfänglicher Kompaniestärke auf mehr oder weniger Null geschrumpft. Vermutlich erstrahlte aus diesem Grund meine Wand – entgegen dem meiner Auswahl zwischen Schwarz und Weiß entsprechenden Schwarz – in ebenso unerwartetem wie unnützem Grau. Folglich verbuchte mein Konto weitere Meilen und Telefonminuten, bis ich schließlich meine persönliche Gallone schwarzer Wandfarbe sowie meine Dosen hatte. Zu meinem Leidwesen gab es fortan nichts mehr, worüber ich mich hätte beschweren können: die von Blackbooks gelaserte Schablone funktio- nierte wie erhofft und die Wandfarbe entpuppte sich als so gut, dass der Farbeimer in meinem Gepäck nach Berlin emigrierte.
Amerikaner sind anders als Deutsche und wer hierzulande im öffentlichen Raum je zu Auftragszwecken die Sprühdose geschwungen hat, kennt die Frage nach dem Wer-hat-das- wann-erlaubt-und-warum gut. Hier wurden die Mentalitätsunterschiede zu Deutschland deutlich, diese Frage blieb in Miami nämlich komplett aus – im Gegenteil war das Interesse von Passanten verschiedenster Altersklassen und Einkommensschichten groß und immer positiv. Mehrfach hatte ich das Gefühl, Gespräche brüsk beenden zu müssen, um mich meiner eigentlichen Mission zu widmen.
Ähnliche Missionen wie die meine schien es an jeder zweiten Strassenecke zu geben, denn parallel zur Primary Flight wurden für verschiedene andere Projekte Wände bemalt. In diesem Zusammenhang erstaunte mich die Menge an Graffiti und das fast vollständige Fehlen dessen, was bei uns gerne „Street-Art“ genannt wird. Nicht nur scheint dieser Begriff in den USA weniger geläufig zu sein, im Kunstkontext kommt er in dem bei uns benutzten Sinne zum Glück wohl fast nicht vor. Tatsächlich fallen mir spontan nur Shepard Fairey, London Police und Logan Hicks als einzige unter den Teilnehmern ein, auf die dieser Begriff bei uns angewendet würde. Im Unterschied zu Deutschland erfährt diese Kunstrichtung in den USA eine deutlich höhere Akzeptanz und wird eher als Kunst-Kunst betrachtet.
So ließe sich auch bequem erklären, worin sich das Auftreten amerikanischer Künstler im Vergleich zu deutschen unterscheidet, denn erstere wirken in ihrer Selbstdarstellung und Eigenvermarktung professioneller, souveräner und berechnender als Letztere. Vergleichbar mit der Floskel „How are you?“, auf die niemand eine informative Antwort erwartet, hatte ich den Eindruck, dass amerikanische Künstler ihrem Gesprächspartner ihre Arbeiten beschreiben und zeigen, ohne dabei eine ehrliche Meinung zu erbitten.
Mittlerweile sitze ich wieder im kalten grauen Berlin und von der Primary Flight bleiben einige gute und ein paar stressige Erinnerungen, ein Bild und eine Schablone. Die Kombination von mehreren gleichzeitigen Kunstmessen, einer beeindruckenden Künstlerliste und prima Klima macht die Veranstaltung ziemlich einzigartig. Für vergleichbare Projekte in unseren Gefilden würde ich mir neben gutem Wetter mehr Professionalität wünschen – wobei ich gleichzeitig das Gefühl habe, dass es zum Beispiel mit der Stroke in München viel versprechende Ansätze gibt. Und wenn wir schon dabei sind: es würde der Sache nicht schaden, die Wir-sind-jung-und-witzig-Attitüde der Street-Art durch wenigstens etwas Ernsthaftigkeit zu ersetzen.
Lukas Kampfmann
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