Friedrich Liechtenstein, der letzte (supergeile) Flaneur Berlins

von Christin Nichols


friedrich-liechtenstein-proud-magazine-Berlin-pre2Wir treffen Herrn Liechtenstein wie verabredet im Büro von „IC-Berlin“, einer Brillenmanufaktur, bei der man jedoch eher den Eindruck hat in einer neuen Generation von „WG“ angelangt zu sein.

Friedrich öffnet uns persönlich die Tür und schiebt uns zunächst vor einen riesigen Ventilator, der das Potential hätte das gesamte Soho-House mit samt den ansässigen Yuppies weg zu pusten. Das befindet sich direkt daneben, und wirkt von der Dachterasse des Büros eher wie eine Mietwohnung im Wedding. „ Die tun mir leid dadrüben, die haben nicht so einen Ausblick wie ich hier“. Hier gilt wohl erwähnen, das Friedrich hier nicht nur arbeitet sondern auch wohnt. Und langsam nähern wir uns dem Menschen an, den es hier zu porträtieren gilt.

Das Gesamtkonzept Friedrich Liechtenstein setzt sich aus so vielen verschiedenen Facetten zusammen, dass man selber dazu angehalten wird die ganze Zeit über alles („Hier ist ein Boxsack“) zu stauen, wie der Meister selbst. Den meisten wird der Song „Supergeil“ sicherlich schon mal begegnet sein. Aber von vorne.

In Stalinstadt, der Idealstadt des Kommunismus zu seiner Zeit, geboren und aufgewachsen, schlägt unser Protagonist zunächst sehr bürgerliche Wege ein. Doch durch die Tristes des Ostens – „Die Klamotten waren alle scheiße“ – wächst seine Sehnsucht nach Glanz. Er studiert Puppenspiel an der Ernst Busch Hochschule, um dann als Alleinunterhalter und in verschiedenen Gemeinschaften mit dem Künstlerdasein zu beginnen. „Ich hatte nichts zu verlieren. Also war ich frei. Auch wenn wir immer durch den Staat beobachtet wurden.“

Später, im wiedervereinigten Berlin spielt er an namenhaften Theatern. Bei „Icke- die Oper“, an der Volksbühne, tanzt er, nach eigenen Angaben, so schön über die Bühne, das ihn Solomun (Watergate Records) entdeckt und für sein Musikvideo zu `Kackvogel´ im Stile von Christophe Walken im Fat Boy Slim Video zu „ Weapon of Choice“ verpflichtet. Bis heute bringt das knapp 2,5 Millionen Klicks. Von da an rollt die Lawine Liechtenstein durch Berlin. `Der Tourist´ nimmt mit ihm den Song „ Supergeil“ auf und Friedrich erlangt Kultstatus.

„Mich treibt die Genauigkeit. Das ist Geil. Diesen einen Moment zu schaffen.“ Herbert Fritsch besetzt ihn in seinem Film „ Elf Onkel“, bei 3sat moderiert er eine Reisesendung und ist nebenbei noch Teil der Show von Deichkind, als Sie noch in ihrer Blütezeit sind. Mittlerweile macht er seine eigenen Platten, seine Auftritte mit seinem unverwechselbaren und eigens erfundenen „ Slide-Dance“ in einschlägigen Berliner Clubs sind bis heute legendär- Stichwort Arschversohlen mit Porreestangen.

Mittlerweile befinden wir uns in seinem `Turm´, wie er es nennt. Auf geschätzten 3 Quadratmetern wohnt er über dem IC-Berlin Büro. „ Die Küche kann ich mitbenutzen“. Er bezeichnet sich selbst als Eremiten. Als jemanden, der Freiwillig die Einsamkeit gewählt hat, um daraus produktiv zu sein.

Wenn er durch die Straßen von Berlin flaniert, erkennen ihn mittlerweile so viele Leute, dass er nun Autogrammkarten besitzt. Friedrich Liechtenstein ist eine Art Phänomen, auf seine Art. Man hat immer das Gefühl, eine öffentliche Person sitzt da vor einem. Er will sein Kunstwerk weiter erzählen. „ Ich will den Leuten nix klarmachen. Klarheit ist der Tod.“ Aber die Algen, auf die Algen steht er. Weil sie für Verwandlung stehen, weil sie in einem Biotop leben, so wie er in der Kunst und wie er als Eremit mit Ralf Anderl von IC-Berlin.

Wahrscheinlich ist das faszinierende an diesem Menschen, dass man eben nie weiß, ob man nun den Entertainer vor sich hat, der auf Events in Charlottenburg aus den Handtaschen der feinen Gäste wie aus Kaffeesatz liest, oder eben den aufrichtigen Hedonisten, dem einfach der Osten zu grau war und der sich jetzt, wie eine Pippi Langstrumpf mit Vollbart, eben die Welt baut wie sie ihm gefällt.

Das beste was ihm je passiert ist? Die Liebe. Und das schlimmste? Die Liebe. Ein Glück, dass es Leute gibt wie ihn, die vor nichts Angst haben.

Und welchen Rat kann man vom `letzten Flaneur Berlins´ bekommen? Wie wird man Supergeil??

„In dem man einfach supergeil ist.“

Stimmt.

Text: Christin Nichols

Erschienen im proud magazine #32

PS: der Artikel ist entstanden, bevor EDEKA Herrn Liechtenstein als Testimonial für sich entdeckt hat. Hier zwei schöne Auszüge aus der aus unserer Sicht sehr gelungenen Werbekampagne

Christin Nichols

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