Im letzten Jahrzehnt ist Street Art im Mainstream angekommen: Banksy hat einen Kinofilm gemacht, Shepard Fairey den US-Wahlkampf 2008 beeinflusst, das Tate Modern hat seine Wände bekleistern lassen und sogar in Steglitz wurde der Bierpinsel bemalt. Es war längst überfällig, dass jemand diese rasante Geschichte mal aufschreibt und Street Art auch die Dokumentation erhält, die sie verdient. Mit „Trespass: Die Geschichte der Urbanen Kunst“ haben Ethel Seno, Carlo McCormick sowie die beiden Wooster Collective Blogger Marc und Sara Schiller nun genau das probiert. Proud hat sich das erste Geschichtsbuch der Urbanen Kunst angesehen.
„Das Einzige, was ich im Leben bedauere: Dass ich nie über einen Zaun geklettert bin.“
Mit diesem Zitat der britischen Königin Mary I beginnt „Trespass: Die Geschichte der Urbanen Kunst“ und versucht damit schon im Titel, die Essenz von Street Art auf den Punkt zu bringen – Übertreten, Eindringen, Überschreiten. Was sich hinter dem Konzept der visualisierten Subversion verbirgt, wo es herkommt, wie es aussieht, und wo es vielleicht hingeht, das probieren der New Yorker Kurator Carlo McCormick sowie das Street Art Mäzenen-Paar Marc und Sara Schiller auf über 300 großen bunten Seiten zu präsentieren. Dabei gehen sie nicht so sehr ins (wis- senschaftliche) Detail, wie das Katrin Klitzke und Christian Schmidt ein Jahr vorher in „Street Art – Legenden zur Straße“ gemacht haben, sondern liefern eine visuelle Retrospektive von fast 30 Jahren Street Art Historie ab.
Sie beginnen dabei wirklich bei den allerersten Interventionen im öffentlichen Raum: Sei es Philippe Petits Drahtseilakt zwischen den beiden WTC Türmen 1974 oder Keith Harings U-Bahn Kritzeleien Anfang der Achtziger – die Autoren rufen dem Leser ins Gedächtnis, dass Street Art ein Konzept ist, das nicht an Materialien oder Techniken gebunden ist, und keine Sprühdosen oder Poststicker braucht, sondern schlicht ein Dialog mit der Umwelt über die Umwelt ist.
Dafür gibt es jede Menge Beispiele: So wird von dem Konzeptkünstler Hans Winkler berichtet, der nach Disneyland gefahren ist, um Mickey Maus nach einer Desert-Storm-Parade eine Ohrfeige zu geben. Vorher hat er sich von dem kostümierten Animateur ein Autogramm geben lassen – und zwar unter eine Einverständniserklärung, nun eine geknallt zu bekommen. Auch das ist Street Art – ob nun mehr Street oder mehr Art, muss jeder selbst entscheiden.
Was man „Trespass“ zu Gute halten muss, ist, dass es sich in genau diesem Stil nicht nur dem Hype der letzten zehn Jahre widmet. So werden zwar die üblichen Szene-Größen von Banksy über JR bis Swoon abgebildet – dafür erhalten „Nischenthemen“ wie Adbusting oder Guerilla Gardening aber auch eigene Kapitel. Es wird gezeigt, was kreative Menschen so alles mit und auf der Straße machen, ob sie nun einen Graffiti- oder Mediengestalter- Hintergrund haben oder nicht.
„Trespass“ ist damit ein großes Bilderbuch geworden, das zeigt, was in den letzten 30 Jahren alles Urban Art gewesen ist. Und damit einen Anstoß liefert, was in den nächsten 30 Jahren alles Urban Art sein kann.
Trespass. Die Geschichte der urbanen Kunst Carlo McCormick, Marc and Sara Schiller, Ethel Seno
Hardcover, 23.5 x 32 cm, 320 Seiten € 29.99 ISBN 978-3-8365-2414-8
Text Lukas Kampfmann
Lukas Kampfmann
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