Alles so schön bunt und verrückt hier. Der Flohmarkt im Berliner Mauerpark

von Sophia Zessnik


Der Tag, an dem sogar die Hauptstadt schläft. Dieser Eindruck entsteht zumindest, wenn sich die U2 den wochentäglichen Massenanlaufsstätten Berlins nähert. An den Stationen Zoologischer Garten, Wittenbergplatz und Potsdamer Platz ist es ungewöhnlich still. Doch wenn sich die gelbe Bahn ins Freie erhebt und Ostberlins schönste Bauten sichtbar werden, kommt schlagartig Leben auf. Der Ruhetag der Woche gleicht einem belebten Wochentag, ohne Verpflichtungen, mit viel Sonne und glücklichen, interessant gekleideten Menschen.

An der Eberswalder Straße strömen Passanten jeden Alters in dieselbe Richtung. Ziel ist der Mauerpark in Prenzlauer Berg; keine von Berlins schönsten Grünanlagen und doch Sommers wie Winters außergewöhnlich gut besucht. Am gesegneten Wochenende versammelt sich hier alles – vom Kleindesigner bis zum Profisammler – um anzubieten was die letzten Jahrzehnte “IN” war und aus Nostalgie wiederkommt. Ältere Generationen wollen loswerden, was schon seit dreißig Jahren im Keller vor sich hin staubt. Jugendliche kaufen, was Mami& Papi längst entsorgt haben, heutzutage jedoch wieder ein gesellschaftliches Muss ist.

Das Wetter ist ungewöhnlich mild für anfangsjährliche Verhältnisse. Daher verwundert es die vorbeiziehenden Massen kaum, dass am Eingang des hippen Flohmarkts, der durch einen lehmigen Trampelpfad erreichbar ist, ein langhaariger Zeitgenosse fröhlich auf seinem Banjo zupft. Schließt man die Augen und lauscht den hypnotisierenden Klängen, kann man fast die wärmende Sonne des Frühling auf dem Gesicht spüren.

Beim Eintreten in das parkplatzähnliche Areal, wo sich Stand an Stand reiht, Schätze versteckt unter altem Krempel lauern, weht einem der Geruch frischgebackener Waffeln entgegen. Sie und weitere kulinarische Köstlichkeiten aus aller Welt machen das Aufspüren antiquierten Plunders zu einem Sonntagvormittag der besonderen Art. Aus einer entlegenen Ecke funkelt es: ein Stand mit handgefertigtem Kopfschmuck, verziert durch Pfauenfedern, Pailletten und bunten Bändern. Die Sachen sehen präzise und aufwendig verarbeitet aus. Lauren, die den Stand führt, kommt aus den USA und lebt seit drei Jahren in Berlin. Sie erzählt, dass ihr vor allem die Atmosphäre des Mauerparks durch die ganz unterschiedlichen Schnäppchenjäger gut gefällt. „Alles ist so bunt und verrückt.“, sagt sie mit ihrem amerikanischen Akzent. Zudem berichtet sie, dass es vielleicht bald vorbei ist mit den „Hand-made-Produkten“ auf Berlins liebstem Alternativflohmarkt.

Anscheinend will die Besitzerin des Geländes, eine Immobiliengesellschaft, gegen die kreativen Köpfe vorgehen und plant eine stärkere Kommerzialisierung des Markts. Ob es sich bei dieser Information um ein Gerücht oder eine Tatsache handelt, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Außer der netten Amerikanerin mit den Rasta Zöpfen kann keiner Auskunft über Zukünftiges geben. Kurz vor dem Ende der Standreihen erweckt ein kleiner Tisch die Aufmerksamkeit der Besucher. Auf einer blau gemusterten Decke, die einem peruanischen Poncho ähnelt, liegen ordentlich aufgereiht Miniatur- Fahrräder aus Draht. Manche baumeln an silbernen Ohrringen. Größere sind mit bunten Perlen verziert und dienen als Tischschmuck. Ihr Schöpfer trägt einen dunkelroten Alpaka- Pullover, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Sein Name ist Lars, seine Freunde nennen ihn „Larsito“. Den Spitznamen hat er letztes Jahr auf einer Reise durch Lateinamerika bekommen.

Die Idee mit den Drahtfahrrädern kam ihm ebenfalls dort, während er seinen Weg meist per Zweirad zurücklegte. Akuter Geldmangel war der Hintergrund für seine Geschäftsidee und bald verkaufte er seine Drahtesel an Touristen und mexikanische Freunde. Der Einfall finanzierte ihm zwei Monate seiner Reise in Südamerikas schönste Städte. Auf die Frage, ob das, was seine Basteleien abwerfen, zum Leben reicht, lächelt er nur in seine Kapuze hinein.

Auch wenn der Mauerpark noch sehr alternativ wirkt; Prenzlauer Berg hat sich vom heruntergekommenen Studentenbezirk längst zum kostspieligen Traum der großstädtischen Familienidylle gemausert. Larsito gibt zu, dass er sich hier eher sein Taschengeld verdient, mit dem er unter der Woche Berlins Nachtleben genießen kann. Hauptberuflich ist er KFZ-Mechaniker und schraubt leidenschaftlich gern an Motorrädern herum. Warum er nicht auf einem der gängigen Kunsthandwerksmärkte steht, sondern hier, inmitten von schlammigen Pfützen und verschimmelten Kartons? „Mir sind die Leute hier sympathisch. Das Publikum ist sehr entspannt und schön alternativ.“, schwärmt er. „Viele in Berlin lebende Latinos und Spanier kommen hierher. So kann ich mein Spanisch ab und zu auffrischen.“

Lauren und Lars sind nur zwei von vielen Verkäufern hier. Der Großteil von ihnen kommt ursprünglich nicht aus Deutschland. Sie alle kamen aus unterschiedlichen Gründen nach Berlin. Doch egal woher sie stammen, eines verbindet alle: Die Liebe zum etwas Ungewöhnlichen und der Hang zum Individualismus.

Sophia Zessnik

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