Wir waren auf der Fusion schon begeistert von Deinem Konzert und mit uns die 20.000 im Rücken. Jetzt bespielst Du am 06.10.2009 den Admiralspalast. Die Veranstalter hatten voll die Panik. Meinten noch, dass sie hier zwei- bis dreitausend Leute jedes Jahr vor der Bühne hätten. Was dann da los war, die waren fertig mit den Nerven.
Was ist interessanter: Fan- oder Festivalpublikum? Bei der Fusion waren vielleicht 5.000 Leute dabei, die Dich vorher gar nicht kannten…
Für mich ist das Festival die größere Herausforderung. Du stehst auf der Bühne und vielleicht kennen dich 75% der Leute nicht. Da zählt dann alles. Rockst du das Haus oder ist deine Musik einfach nur heiße Luft. Das liebe ich an Festivals. Kein Marketing, sich ungefiltert der Masse stellen. Dann sieht man einfach ist das bla bla bla oder hat es Substanz. Das ist zwar manchmal eine schwere Last, du hast oft keinen Soundcheck, das Licht ist komisch. Die Bedingungen sind alles andere als perfekt. Wenn du eine Clubshow machst, kommst du um vier, machst deinen Soundcheck. Das ist alles so geschmeidig. Festival ist so – Attacke. Keine Chance kosmetisch alles schön zu machen. Geh und spiel. Egal was kommt. Es geht an die Substanz und das finde ich gut.
Eine Herausforderung?
Es ist alles ungekünstelt. Im Club kannst du alles inszenieren. Beim Festival ist alles rough.
Wie fühlst du dich, wenn du die Massen so mitreißt?
Es gibt kein Gefühl, das du dem gleichsetzen kannst. Es ist eine geballte Ladung positive Energie. Ich empfinde das als sehr positive Form von Bestätigung und ich fordere das auch heraus. Es ist so die letzte Bastion Freiheit. Es gibt keine Situation im Leben, wo wir uns für einen gewissen Zeitraum in einer so losgelösten Atmosphäre bewegen. Es gibt keine kulturellen Beschränkungen. Es gibt niemanden, der sagt, du darfst hier nicht so laut schreien. Während wir spielen, kann uns auf der Bühne keiner irgendetwas verbieten. Das macht es 20 chat ja auch so elektrisierend. Wenn die Emotionen hochkochen, hat das was Explosives. So losgelöste Situationen gibt es im normalen Leben gar nicht mehr.
Shantel – Bucovina Original (from “Planet Paprika”) by Crammed Discs
Ist das der Ort, den Planet Paprika, dein neues Album, beschreibt?
Das hat ein bisschen was damit zu tun. Das, was wir da machen auf der Bühne und was da passiert, ist ein grenzenloser Zustand und als virtueller Ort einmalig. Die Menschen, die da waren, reden in zehn Jahren noch davon. Einfach aus dem Gefühl heraus. Die Form von Gemeinschaft, die während eines Konzertes entsteht. Du kannst jeden ansprechen in diesem Moment. Du musst auch nicht drauf sein oder so. Es ist ein geschlossenes, homogenes Ding.
Mir ist aufgefallen, das dein neues Album mehr politische Texte enthält. Was wünschst du dir?
Mit Disco Partizani fing alles an. Es gab immer das Argument, alles ist so happy-clappy. Ich habe eine sehr klare Position zu dem, was ich mache. Im Laufe der letzten Jahre musste ich da die eine oder andere politische Diskussion führen. Eine Standardfrage, die mir immer gestellt wird, ist: „Wo kommst du eigentlich her“ oder „Was ist deine Identität“. Du bist doch eigentlich Deutscher? Die Fragen zeigen, wie rassistisch nach wie vor die Haltung vieler Menschen ist, hier in Westeuropa. Wir hätten vier oder fünf Festivals in England spielen können. Die mussten wir dieses Jahr jedoch absagen, denn in meiner Band sind zwei serbische Musiker, die haben keine Visa bekommen. Es ist einfacher, einen fucking amerikanischen Country Sänger durch Europa zu kutschieren und mit ihm Konzerte zu machen als mit Musikern,die aus Serbien kommen. Obwohl das ein europäisches Land ist. Es ist total paradox, wie dieses Europa funktioniert. Wir sind einerseits total geprägt von angloamerikanischer Popkultur, auf der anderen Seite suchst du im Radio ums Verrecken einen griechisch-sprachigen Pop Song und wenn, dann kommt so eine Ansage wie „Das war die Weltmusik lalala aus etno bla“, das kann nicht sein. Es ist scheißegal, was für eine Kultur oder Religion ich bin. Das ist sekundär, darum geht‘s nicht. Die Sache mit Planet Paprika ist für mich ein Zeichen. Dieses Spiel mit Identität mache ich nicht mit. Mich interessieren deine Identität und dein Pass nicht. Ich brauche keine Visa, keine Passkontrolle, wenn du ein interessanter und liebenswerter Mensch bist.
Meine Familie mütterlicherseits kommt aus der Bukovina. Da wird rumänisch gesprochen. Mein Großvater hat mehr ukrainisch gesprochen und so weiter. Aber es macht mich nicht zum besseren Musiker. Mein anderer Großvater ist Grieche. Ich hab super Erinnerungen und fahre da gerne hin, aber es macht mich doch nicht zum besseren Sänger. Es ist Fakt: der gehört zu meiner Identität. Jeder in Europa hat so eine Art Mosaik in seiner Familie. Das ist doch, was das Land prägt. Darauf bin ich stolz. Das ist das, wofür ich stehe. Das ist mein persönlicher Planet. Beim deutschen Kulturjournalisten ist das nicht angekommen. Die fragen dann Sachen wie: „Machst du rumänische Musik?“ oder „Machst du Balkanmusik?“. Ich sag, ich mach Pop-Musik, du Idiot. Hör dir Hip-Hop an. Hip-Hop ist eine Mischung aus afroamerikanischen Elementen gepaart mit diversen anderen Sachen. Für dich ist das Pop-Musik. Du würdest doch niemals mit so einer komischen Ausländerlupe kommen und irgendwie sagen, das ist doch afrikanische Musik oder so. Das ist doch Bullshit. Mittlerweile sag ich, ich mach deutsche Musik. Das muss nicht heißen, dass es so klingt wie beim Musikantenstadl. Es klingt halt, wie es klingt. Es ist ein Patchwork, ein Flickenteppich aus vielen kulturellen Einflüssen. Dafür stehe ich.
Nach mehreren Alben – ist es da schwer sich neu zu erfinden oder baust du nach wie vor auf traditionelle Arrangements?
Die Arbeit an einem neuen Album wird immer schwieriger. Es ist jedes Mal ein Verzweiflungskampf zwischen Himmelhochjauchzend und der absoluten Katastrophe. Das macht die Arbeit auch so spannend. Es gibt keine verlässliche Größe oder Variante, die dir das Gefühl gibt, dein letztes Album war gut und jetzt benutze ich die selben Parameter fürs nächste Album. Das funktioniert nicht. Du musst immer bei 0 anfangen, dich doof stellen. Dann wirst du hin und her geworfen. Ich war oft unsicher. Kann ich das machen, englischer Text? Diso Partizani war eine große Herausforderung. Alle haben mich am Anfang für Discoboy und Co geprügelt, doch im Endeffekt waren es die erfolgreichsten Songs. Im neuen Album konnte ich mich komplett darauf einlassen ohne Angst zu haben, dass es nicht angenommen wird. Bei Planet Paprika habe ich so meine Insel definiert und konnte mich mehr auf die Musik konzentrieren. Musikalisch konnte ich mehr ins Risiko gehen. Das hat Spaß gemacht. Bei Disco Partizani waren die Texte immer relativ kurz. Jetzt bei Planet Paprika erzähle ich richtige Stories. Es ist sozusagen substanzieller.
09 Shantel ‘Borino Oro’ by FAIRE LE MUR
Was ist dein Lieblingstrack von deinem neuen Album?`
Haha, das ist so als ob du einen Familienvater fragst, der zehn Kinder hat, welches ist dein Lieblingskind? Das ist unmöglich. Zu jedem Song hast du deine persönliche Affinität und Geschichte. Das Album hat sich aus ca. 30 Demos herauskristallisiert. Ich wollte auch nicht länger als 50 Minuten werden. Ich bin sehr zufrieden mit der Essenz.
Das ist bei uns auch sehr viel so. Tolle Sachen, schöne Statements. Noch ́ne Message?
Ich hab keine Message. Der Weg ist das Ziel. Vielen, vielen Dank.
Interview Gesa Hollender
Design Vinzent Britz
Redaktion
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