Geplant war eigentlich, Hüte für das Shoot meiner Wünsche abzuholen. Entdeckt hatte ich die auf einem Flohmarkt in Neukölln, wonach ich mich hin und weg zeigte. Nach einem flüchtigen Gespräch in ihrem Atelier und Projektraum merkte ich schon, wie interessant die Person hinter dem Flohmarkttisch ist: Sandruschka Beck. Ich musste mehr wissen und kam wieder.
Erzähl mir was zu den Hüten.
Die Hüte waren ein erster konkreter Entwurf, der als Grundlage zur Konzeption eines Modelabels dienen sollte, das Nike Schröder und ich gründen wollten. „german tradition meets american trash” war unser Schlagwort. Letztendlich haben wir uns gegen die Gründung eines Labels entschieden, da unsere Arbeit keine Passung mit Mechanismen der Mode hat und wir sie auch nicht passend machen wollen. Die Hüte bleiben als – für uns ästhetisch sehr überzeugende – Objekte bestehen, deren Potenzial wir für Projekte nutzen wollen, die in einem Kunstkontext angesiedelt sind. Außerdem ist für uns denkbar, die Hüte zu verleihen – beispielsweise für Musikvideoproduktionen oder Fotostrecken.
Und was machst du hier?
Im April habe ich mich selbstständig gemacht mit dem Raum für textile Anliegen, der für mich eine Plattform bietet alle meine Projekte und Vorhaben zu vereinen. Zum Beispiel werde ich eine offene Textilwerkstatt in meinem Atelier anbieten. Hier können Leute zum Nähen einfach vorbei kommen und von mir bei ihrem Nähprojekt unterstützt werden. Das soll ein bisschen anders aussehen als in einem gewöhnlichen Nähcafe, da das hier ein Atelier mit deutlichem Kunstbezug ist – allein schon durch meine Atelierpartnerinnen, die sich mit Zeichnungen, Performances, Installationen und Malerei beschäftigen. Für die Zukunft sind konkrete Events geplant, wie zum Beispiel ein Nähmarathon. Bei einem Nähmarathon wird 12 Stunden genäht. Jeder Teilnehmer erhält alle zwei Stunden ein neues Thema zu dem er Kleidung, Kostüme oder textile Objekte gestalten kann. Am Abend werden die Ergebnisse in Form einer Ausstellung mit Modenschau präsentiert. Die beste Arbeitsserie wird prämiert.
Außerdem fertige ich Kostümbilder für freie Theaterprojekte an. Oft übernehme ich dann auch das Bühnenbild – meist hat es dann einen deutlichen textilen Ursprung. Wir sitzen gerade auf Kissen des Bühnenbilds für ein Stück mit Schülern in der Gropiusstadt. Es heißt „Von Kartoffeln und Kanaken“ und behandelt Vorurteile zwischen Deutschen und Ausländern.
Sehr freue ich mich auf ein Theaterprojekt der Spreeagenten in Kooperation mit dem Deutschen Theater in einem kleinen Dorf in Rumänien, das nun zum dritten Mal stattfindet. Zusammen mit den Einwohnern und Teilnehmern aus Deutschland wird ein Theaterstück entwickelt. Dieses Mal wird es um virtuelle Figuren wie z.B.. Superhelden gehen – und ich werde die komplette Ausstattung gemeinsam mit den Teilnehmern anfertigen. Es wird eine Aufführung in Rumänien geben und im Herbst werden einige Teilnehmer für eine zweite nach Berlin kommen.
2008 habe ich das Projekt „Cirqules“ in Kooperation mit Nike Schröder und dem Lucent Dossier Vaudeville Cirque in Pasedana/U.S.A realisiert. Wir haben für sozial benachteiligte Kinder einen Kostümworkshop angeboten, der von einem Performanceworkshop ergänzt wurde. Da die Kinder zum Teil erst 5 Jahre alt waren, war unsere Überlegung zunächst die einfachste Möglichkeit der Schnittkonstruktion anzuwenden – und so kamen wir zum Kreis als Grundlage. Damit kann man alles machen: Ein Loch reingeschnitten und man hat sofort einen Rock, Ärmel oder einen Hut. Die Kinder kamen auch sehr gut mit den Nähmaschinen klar. Ich habe echt gestaunt, da Nähen für mich ein komplexer Prozess ist, denn aus einer planen Fläche entsteht plötzlich etwas Dreidimensionales. Das erfordert eine sehr hohe Transferleistung des Gehirns.
Das längste Projekt an dem ich seit 2007 arbeite heißt “babel identity and community as material” – und beruht auf dem Wunsch der Vernetzung. Ich brauchte einen Input in Form eines Austausches. So schickte ich an jede EmailAdresse und jeden Myspaceund Facebookfreund die Bitte, mir ein persönliches Kleidungsstück zu schicken und mir dessen Geschichte zu erzählen. Ich habe Pakete aus der ganzen Welt erhalten von bekannten und unbekannten Personen. Die Kontakte spannen sich wie ein Gewebe über die Welt – dem zur folge auch etwas Textiles.
Eines der ersten Pakete war ein weißes Hemd, ohne Namen und Absender – und ohne Geschichte! Ein anderes Extrem war ein Paket von einer Amerikanerin, die in Japan lebt. Es war sehr liebevoll gestaltet und sehr persönlich. Als ich es aufgemacht habe, dachte ich fast, ich hätte es selbst gepackt, so ähnelten sich ihr und mein Sinn für Ästhetik. Basierend auf diesen Einsendungen entstanden Objekte, Zeichnungen, Aktionen und Performances, in denen kulturelle und biografische Spuren des ehemaligen Trägers sichtbar werden und die Entdeckung und Absorbierung märchenund mythenhafter Strukturen ins Zentrum rückt. Für meine Diplomarbeit habe ich dann fünf Pakete ausgewählt und daraus PerformanceSequenzen entwickelt. Jede wurde in einem von fünf Zelten gezeigt. In die Zelte hatte jeweils immer nur ein Zuschauer zur gleichen Zeit Zutritt. Die Sequenzen wurden für jeden Zuschauer einzeln wiederholt. So entstand eine sehr intime Aufführungssituation. Eine Frau kam z.B. total heulend und schluchzend raus, die Nächste – aus dem gleichen Zelt – musste laut lachen. Da im restlichen Raum nicht gesprochen werden durfte, provozierte das die Frage: Geh ich da rein oder nicht? Allgemein ist es eine tolle Erfahrung, zu sehen wie viel Vertrauen mir entgegengebracht wurde – so viele Zusendungen ohne dass der Absender mich oder meine Arbeit kannte! Einer Frau habe ich zwei Jahre nach ihrer Zusendung geantwortet und ihr die Dokumentation meiner Arbeit zu ihrem Kleidungsstück geschickt. Da sie mich schon fast vergessen hatte, war ihre Rührung sehr groß.
Performances sind mein drittes Anliegen für den ich diesen Raum nutzen möchte. Am Anfang jeder Entwicklung einer Performance stand die Gestaltung eines Kostüms. Mit einem Kostüm kann ich mich in alles verwandeln, was ich will. Die Kostümierung ist dennoch keine Verhüllung oder Maskierung. Sie wird von den Betrachtern insofern als Realität erlebt, als die Fiktion der Performance nicht als Unwahrheit angegriffen wird – für einen kurzen Moment bin ich etwas Anderes. Ich war eine Braut, eine Ehefrau, ein Wal, eine Superheldin. Ich war die heilige Jungfrau Maria, Sankt Martin, der Fisch an der Angel, Rotkäppchen, ein Schaf, Goldmarie, Sterntalermädchen, ein Zirkuszelt und vieles andere. Ich verschmolz mit anderen Menschen oder Gegenständen zu einem Körper, breitete mich zu Architektur aus und gewährte Anderen Unterschlupf. Ich war Viele.
An Performances allgemein fasziniert mich die Flüchtigkeit und Unmittelbarkeit des Mediums. Eine Performance – das geht nur hier und jetzt. Ein Bild kann ich mir auch morgen anschauen.
Sandruska Beck hat „Kunsttherapie/- pädagogik“ studiert. Nähen wurde ihr nie gezeigt, sie ist Autodidaktin und hat sich Vieles selbst überlegt oder die Informationen aufgeschnappt. Ab Juli kann man sich anstecken lassen, von den kreativen Vibes in ihrer Nähwerkstatt.
Weichselstr. 59, Projektraum 59/3i
Styling, Concept, Production, Photography Ida Westheuser
Hair, Make-up Mai Weiss behance.net/maiweiss
Model Laura Wiese
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Ida Westheuser
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