Im Friedrichshain gibt es keine Taxis. Ich komme zu spät zum Interview und Wee Flowers muss in zwei Stunden schon wieder los, zum Auflegen im White Trash, wo sie sonst als Smith&Wesson vs. Mr. Moustache unterwegs ist. Da Miss Smith aber leider mit 39 Grad Körperhitze im Bett liegt, ist Miss Wesson am Laptop heute auf sich allein gestellt, was eine gute Überleitung zum Vodka ist, der an diesem Abend auch mal wieder auf sich allein gestellt ist. Und sonst so? Auch sonst pflegt Wee Flowers ein Künstlerinnendasein, als Malerin, überwiegend mit Acryl, als Texteschreiberin und Bassistin, überwiegend für die Band Asphalt, als Kolumnistin, überwiegend bei Dorfdisco.de und auch als Köchin, überwiegend manchmal. Da wir es in der Strychnin Galerie jedoch eher auf die Chaiselongue abgesehen haben, als auf die Küche, komme ich diesmal nicht in den Genuss einer ihrer Shepherd’s Pies oder herzhaften Suppen. Damit stößt es sich eh schlecht an. Dann lieber die altbewährten Shotgläser und die eiskalte Flasche. Heldenhaft. En garde!
Wie oft kannst du solche Interviews machen, ohne dass du deine Leber ärgerst?
Welche Leber?
Ich habe dir schonmal einen halben Liter Bier vorweggenommen.
Wie? Heute?
Eigentlich wollte ich Apfelschorle trinken, aber wir waren Bayrisch essen und auf einmal stand ein Helles auf dem Tisch.
Selbst schuld. Muss ich jetzt einfach mal sagen.
Wenn ich einen französischen Akzent bekomme, dann musst du mich hier unauffällig rausschleusen.
Santé! Ich dachte wir würden das Interview jetzt auf Englisch halten, aber dann habe ich gesehen, dass du Berlin schon länger kennst, als ich, weil mich gibt es erst seit 1981.
Ich war da auch erst zwei.
Natürlich. Eigentlich warst du doch in London, oder?
Ja. Da bin ich immer als Teenie hingegangen. Da hatte ich Familie von der Seite meines Vaters. Das war eine Großcousine von mir. Die hatte ihre Kinder schon aus dem Haus und als ich mit 12-13 Jahren da ankam, war das halt so wie immer mit Großeltern. Die waren sehr kulant. Meine Großcousine war wie eine Art ältere Tante für mich. Die hatte beim Abwaschen dann immer schon eine Kippe im Hals. Und mein Onkel hatte so eine Art – man nennt das „potting shed“ – eine Art Schrebergartenhäuschen, wo er Wein und Bier angesetzt hat und der hat mich dann immer probieren lassen.
Du hast also schon früh Erfahrungen gemacht mit Alkohol.
Und, ja.
Und, ja?
Und Nikotin.
Und wo bist Du geboren?
In Nord-Deutschland. Der letzte richtige Schotte, also in Schottland geboren, war mein Urgroßvater.
In London hast du dann die Punk- Bewegung kennengelernt und diese Szene miterlebt.
Ich wurde eigentlich reingestoßen. Als es so ’76 losging, fanden die meisten kleinen Konzerte in Hinterräumen von Pubs statt. Ich war immer mit den Nachbarsjungs unterwegs und die meinten eines Tages zu mir, „komm, wir hören uns jetzt Punk an“.
Wie nahmen dich die Nachbarsjungs wahr? Du warst ja die Deutsche.
Ich war für die eine Art Maskottchen. Aber für mich war das eigentlich egal. Ich war durch die Musik sowieso schon anglisiert. Die erste Punkband, die ich dann gesehen habe, das waren die Splodgenessabounds. Die waren in London nur ganz kurz bekannt, weil die nach jedem Gig die Hosen runtergelassen haben. Und auf den Popos stand der Name der Band.
Also waren es große Popos, weil das ja ein langer Name ist.
Nein. Es waren einfach viele Jungs.
Hast du dann auch selber musiziert?
Sofort. Ich habe mit Bass angefangen.
Und wie kamst du zur Malerei?
Das mit der Malerei lief eigentlich immer. Auch als ich klein war, habe ich immer schon gemalt und ziemlich schnell festgestellt, dass man mit der Malerei viel Freude verbreiten kann. Irgendwann habe ich dann angefangen – ohne dass ich jetzt Andy Warhols Muster kannte – ein Bild, das den Leuten gut gefiel, das gelobt wurde, einfach schamlos zu vervielfältigen. Ob Pudelmotive, oder irgendwelche Häuser, was Kinder eben malen.
Inzwischen hast du deinen Stil scheinbar gefunden, wenn man von den Pop-Portraits auf deiner Website ausgeht.
Auf die Frage, warum ich das mache habe ich eigentlich nie eine Antwort gefunden, bis mir meine Mutter eine Mappe mit alten Kinderbildern geschickt hat. Ich habe früher an Modekatalogen geübt. Ich wusste also eigentlich schon immer, dass ich Menschen malen wollte. Ich habe mir immer überlegt, was bei Menschen dahinter steckt. Wenn ich jemanden nicht kenne, die Person beobachte, oder mit ihr spreche, dann bin ich immer neugierig zu wissen, was für eine Geschichte dazu passt. Daraus hat sich eben das Interesse gebildet in meinen Bildern nicht nur Gesichter wiederzugeben, sondern damit auch Geschichten zu erzählen. Deshalb auch der Fokus auf die Augen. In der letzten Zeit mache ich dann auch richtige Biographien dazu. Das entwickelt sich in letzter Zeit auch in eine dramatischere Richtung. Ich habe letztens zum Beispiel die Geschichte einer Giftmischerin entwickelt.
Choose your poison. Cheers!
Ja genau. Sowas in der Richtung. Cheers! Hätte ich doch bloß die Apfelschorle getrunken.
Siehst du dich als eine Art Zeitzeugin?
Ja. Gestern lief zum Beispiel eine Sendung über Dennis Hopper. Der hat tolle Fotos gemacht und das war immer mit irgendwelchen Martin Luther Kings, oder, oder, oder. Ich war immer irgendwann zu einer Zeit an einem Punkt, wo ich Glück hatte da zu sein. Die musikalische Erinnerung fängt bei mir ungefähr ’73 an, mit Glam Rock und David Bowie. Die ’60er Jahre eigentlich auch. Meine Punk-Phase war für mich eine Art, mir die Ellenbogen abzustoßen. Ich habe aber auch eine Menge Reibung verursacht, gerade in Bayern, wo ich studiert habe. Das äußere Erscheinungsbild in ganz bewusstem Maße als Provokation benutzt, um mich einer bayrischen Übermacht gegenüber zu sehen, gegen die ich mich dann verteidigt habe. Ich habe mir da auch richtig herbe Ansagen reinziehen müssen, so wie „I moag da Jacken“, also „komm alte, gib die Jacke her, sonst gibt es auf’s Maul“.
Welchen Persönlichkeiten bist du denn mal begegnet, die Idol waren, oder noch sind?
Leute die mich schon irgendwie beeindruckt haben und zu meiner Persönlichkeit etwas beigetragen haben, zu meiner Werdung, das war auf jeden Fall – da war ich ganz klein, sechs oder so – Keith Richards. Warum, weiß ich nicht. Da war ich noch zu jung. Das war zu unbewusst. Aber nicht Mick Jagger wohlbemerkt. Es ging um ein Konzert in Essen, dem ich durch meinen Cousin, der Tickets hatte, hätte beiwohnen können, weil er da gearbeitet hat. Als ich dann heimlich nachts im Gang stand in meinem Pullöverchen und meinen Jeans und mich mein Cousin gerade rausschleifen wollte, hat mich meine Mutter systematisch erwischt und meinte, „wohin willst du denn junge Dame?“ Und ich dann, „zu den Rolling Stones?“ Und sie dann, „you’re going nowhere“. Das war der Grundstein eines ganz verhärteten Rock ‘n’ Roll Daseins.
Gehst du noch auf Konzerte der Rolling Stones?
Ja. Ich bin 2003 das erste Mal gegangen, weil mich meine Freunde eingeladen haben. Ich habe nämlich immer erzählt, „also wenn es mal dazu kommt, dass ich Keith Richards treffe, dann lasse ich mir seine Unterschrift auf die Haut geben und lasse mir das dann tätowieren“. Es kam dann soweit, dass eine Freundin von mir tatsächlich als Tourbegleitung arbeitete und es dann unweigerlich mit den Stones zu tun bekam. Sie hat sich dann hinter meinem Rücken heimlich überlegt, dass ich 2003 nach Stockholm fliege, dort in dem Hotel absteige, wo auch die Rolling Stones leben…
Was dann auch zerstört wurde wahrscheinlich.
Nein, gar nicht.
Das war immer meine Assoziation mit den Stones, zertrümmerte Hotelzimmer.
Ach, das war einmal. Einmal den Fernseher aus dem Fenster werfen und du kannst dich zurücklehnen. Cheers!
Darauf kann man ruhig anstoßen. Cheers! Das ist doch oft so. Wenn du mit dem Motorrad in den Pool gefahren bist, dann hast du deinen Ruf und musst es nicht jeden Tag machen.
Bist du jetzt letzen Endes zu so einem Tatoo gekommen?
(Zeigt das Tatoo in die Kamera und lacht.)
Und was hast du da am Zeigefinger für ein Tatoo? Sieht aus wie ein Schnurrbart.
(Hält sich den Zeigefinger unter die Nase und schaut in die Kamera.) Wenn man vor dem Mädchen-Klo steht und da ist immer voll, dann sind wir früher immer auf das Jungs-Klo gegangen und haben gesagt, „sorry, sind hier Männer?“ Und heute kann ich sagen, (hält sich wieder den Zeigefinger auf die Oberlippe) „sorry, sind hier etwa Mädchen?“
Nochmal kurz zu deinen Gemälden. Kennst du das Label Hed Kandi? Kennst du ihr Artwork und hast du da auch gedacht, das ist irgendwie ähnlich?
Ja. Ich habe mich natürlich auch orientiert. Ich bin auch nicht unbeeinflusst von den ’20er Jahren Art Déco zum Beispiel, oder von Peter Max in den ’70ern. Das sind so die Grundsteine. Ich mache das seit ’85 und natürlich habe ich mich dann mit der ganzen Pop Art Graphik, die danach kam, überrollt gefühlt. Aber ich kann mich da nicht beschweren. Das ist nunmal das Zeichen der Zeit, neue Trends die alte aufgreifen. Ich habe eigentlich immer auch die ganze Malerei mit der Musik verknüpft gesehen, habe stundenlang vor Albencovern gehockt, sie mir angeguckt und habe da versucht irgendetwas zu entziffern, und zum Beispiel manche Platten rückwärts gehört.
Welche?
The Beatles natürlich. Aber da waren keine Messages.
Zumindest keine, die du entdecken konntest.
Nee. So drauf kann man gar nicht sein. Glaube ich.
Wie war das, als du 1981 nach West- Berlin gezogen bist?
Grau. Grau und nass und kalt.
Du musst erst in einer Stunde los. Da haben wir ja noch Zeit. Wir könnten ja mal kurz rausgehen einen Döner holen, um dem Vodka entgegenzusetzen.
Oder ein Fläschchen Olivenöl.
Aber du wirkst noch recht fit.
Ja, aber da war das halbe Bier. Nein. Ich bin mental vorbereitet. Ich habe mich vor ein paar Wochen so weggeballert, dass es mir selber nicht mehr bewusst war. Das passiert mir eigentlich nie, da ich den Standpunkt vertrete, man sollte schon noch wissen, wo es lang geht. Elegantly wasted ist so ein Motto. Also nicht unterm Tisch, lieber oben drauf.
Auf Tische! Cheers. Was wollte ich denn jetzt fragen? Sag mal, dein Schönheitsfleck ist auch tätowiert, oder?
Ja, das war mein erstes Tatoo. Das habe ich von Lady De Winter von den Drei Musketieren abgeguckt. Ich fand die ganz toll. Ich habe das bewundert, dass sie diese Kraft hat dazu böse zu sein, wo doch alle so gut sind.
Aber du bist nicht böse, oder?
Nein. Aber ich habe meine Grenzen.
Cheers! Was legst du heute Abend auf?
Ich glaube ich werde etwas John Spencer Blues Explosion auflegen und dann noch einige Delikatessen aus dem Untergrund, die keiner kennt. Zum Beispiel Sachen von Freunden aus L.A., die ich geschickt bekommen habe, oder Musik die ich selber finde. Alles neu. Klassiker kann ich selber. Neues, schräges Zeug finde ich gut. Alles, was am Elektronischen vorbeischrabbert, aber in Wirklichkeit schwer Gitarre hat.
Komm wir machen noch ein Foto.
Ein großes Verbrüderungsfoto. Müssen wir uns jetzt auch noch küssen?
Sieht so aus.
Okay, aber Wange.
Wollen wir mal rübergehen? Dann kannst du mir deine Kunst zeigen.
Kennst du die schon?
Nein, also von deiner Website.
Dann hast du jetzt keine Ahnung, was dich erwartet.
(Drei junge Menschen kommen in die Galerie hineinspaziert.)
Galeristin: Sind das Eure Freunde?
Nein.
Galeristin: Sorry guys, the gallery is closed. We are doing an interview here.
Junger Mann: So we destroyed the interview?
No, not really, but you are now going to finish the interview. We’re going to take a picture of each you, having a final shot of this vodka.
Hi, I’m Wee, Wee Flowers. I’m the artist.
Cheers Wee!
Wee Flowers arbeitet aktuell an der Geschichte der Salomé Otterbourne: Portraits der Hauptigur und ihrer Famile, ein ausgewachsener Familienstammbaum, eine Mord-und-Skandal Geschichte und eine Solo-Ausstellung im März 2011 in der Strychnin Galerie.
Mehr Infos zu Wee Flowers hier:
Interview Lev Nordstrom
Photos Richard Kirschstein
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Lev Nordstrom
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