Die Beine sind schwer, der Magen ist leer und es geht über die Brückenstraße in Richtung Jannowitzbrücke. Kurz eine Pizza – eher Not als Notwendigkeit und einen Schokoriegel. Weiter, immer weiter über die Kreuzung und an den Gleisen entlang in Richtung Golden Gate, dem Afterhour-Schlupfloch im Niemandsland. Im Hintergrund die rosafarbene Wulst, liebevoll Alexa genannt. Im Vordergrund Verkehr. Vor dem Golden Gate warten unerwartet ein kleiner Tisch, ein Sitzwürfel, ein Sofa und die Club-Betreiber Reimund und Hubi auf mich. Sozusagen über die Hälfte des Club-eigenen Mobiliars, denn im Golden Gate geht es eher um die inneren Werte: die Menschen und die Musik. Drumherum die Nacht, der Tag, die Freunde und nicht zu vergessen eine Flasche Held Vodka. Cheers!
Ihr seid seit acht Jahren in Besitz dieses Ladens. Wie kam es dazu?
R: Die Straße da drüben, die gab es früher gar nicht. Das, was da an Sträuchern und Bäumen ist, ging früher bis zum Bordstein. Dieser Bogen hier, der kein Bogen ist, war noch viel versteckter als jetzt. Fast schon ein kleiner süßer Park, mitten in der Stadt. Dieses Versteckte war natürlich ein Argument. Dort ist der Fernsehturm, da drüben der Alexanderplatz und hier sind wir. Jetzt wo das Alexa da ist, haben wir viel mehr Fußgängerverkehr. Früher kam hier niemand vorbei.
Wieso wolltet ihr Partys machen?
H: Ich kam früher auch aus der DJEcke und hatte Bock auf den Sound auf den ich Bock hatte. Gute Musik, die man selber gut findet.
R: Wir hatten am Anfang alles Mögliche, von wirren Avantgarde-Sachen über Jazz, Disco, Rock-Konzerte und sogar eine Big Band. Damals hatten wir auch noch zwei Floors. Das macht heute kaum noch jemand in Berlin, einen Konter-Floor für musikalische Abwechslung zu setzen.
Bei Euch läuft auf der zweiten Etage auch nicht viel mehr als das Wasser auf den Klos.
R: Ja. Das stimmt. Cheers! Da fällt mir ein, ich glaube es wäre eine gute Idee den Zigarettenautomaten wieder runterzubringen.
H: Jetzt?
Als ich das letzte Mal bei euch war, konnte man mehr oder weniger – eher mehr – in die Klo-Kabinen reinschauen.
R: Wir haben die umgebaut.
H: Naja, es gibt keine rechten Winkel und alles ist auch etwas schief und krumm, aber darum geht es bei einer Party nicht, sondern ums Feiern. Prost!
Sah der Laden schon immer so aus?
H: Das muss Reimund dir beantworten. Ich bin ja nicht von Anfang an dabei gewesen.
R: Früher hatten wir noch mehr weiße Wände, weil wir eine Galerie waren.
Ich kann mich daran erinnern, dass hier mal jemand in einem riesigen blauen Koboldmaki-Kostüm hinter dem DJ-Pult herumtanzte.
R: Den hatten wir auf jeden Fall nicht bestellt.
Vielleicht habe ich ihn auch nicht wirklich gesehen. Wollte nur mal fragen. Cheers!
H: Es gibt immer eine Menge Freaks in der Feierszene. Manche stehen da drauf.
Aber ihr seid kein Fetisch-Club. Ihr veranstaltet ja auch keine MottoPartys.
H: Einmal klopfte mal jemand an und fragte, ob er eine Swinger-Party hier machen dürfe. Ich habe nein gesagt und ärgere mich seitdem darüber.
Habt ihr einen unbefristeten Mietvertrag?
R: Nein. Aber wir haben neulich mit dem Vermieter gesprochen, der Deutschen Bahn. Die waren immer ein bisschen schnarchig. Mittlerweile sind die richtig auf Zack. Die viel gescholtene Privatisierung der Bahn hat also auch gute Seiten. Früher war die Bahn mehr so eine Behörde. Heute kann man ganz gut mit denen zusammenarbeiten.
Wie haltet ihr es mit dem Publikum hier. Gibt es da ein Konzept?
R: Zu sagen jeder kann rein, ist auch ein Konzept, oder?
H: Wir sind ein kleiner Laden. Da fällt es schon auf, wenn fünf Leute da sind, die gar nicht reinpassen. In so einem Laden wie dem Watergate fällt es zum Teil gar nicht auf, ob das nun Deppen sind, oder nicht. Zum Teil schon. Cheers!
H: Das ist halt die Gradwanderung. Macht man keine Tür zu, heißt es Depp kommt rein. Macht man die Tür zu viel zu, heißt es wieder arrogant.
Habt ihr es im Nachtleben mit zwielichtigen Gestalten zu tun?
H: Ich mit Reimund und Reimund mit mir. Aber mit Erpressung gar nicht. Die raffen auch, dass wir viel zu klein sind.
R: Wir hatten mal einen DJ hier, der einen anderen DJ verhauen wollte.
H: Der riss ihm die Platte vom Plattenteller und warf sie an die Wand, weil er meinte das wäre Fascho- oder Idiotenmusik.
Hach, die guten alten Anekdoten. Cheers! Feiert ihr auch mal Jubiläum?
H: Das ist die Frage. Ist Jubiläum der Anfang, als wir noch eine Galerie waren? Ist es der Anfang als wir eine Galerie mit Getränkeausschanklizenz waren? Oder ist es der Anfang, als wir keine Galerie mehr waren, sondern eine Gastronomie mit regelmäßigen Tanz- und Besuchveranstaltungen?
Darf ich das jetzt entscheiden?
H: Wenn du magst.
Vielleicht als die erste große Razzia bei euch war?
R: Ja, die hatten wir auch schon.
Es klopfte an der Tür und da stand dann das SWAT-Team oder wie?
R: Ja, so ungefähr.
Was haben sie denn gesucht?
H: Erstmal Drogen, aber Drogen haben sie nicht gefunden. Möbel wahrscheinlich auch nicht. Cheers!
Was ja dann eher deren Problem war.
H: Unser Problem war, dass die schlechte Laune gekriegt haben, weil sie nichts gefunden haben und sich dann auf bauliche Mängel konzentriert haben. Damals hatten wir noch solche Gasheizer, die natürlich verboten sind. Das haben die schön fotografiert und uns dann versiegelt. Dann waren wir einen Monat dicht.
A propos dicht, cheers! Sag mal, was macht unser Kameramann eigentlich da hinten auf der Kreuzung?
R: Hoffentlich seine Aufgabe.
Der Kameramann kommt zurück.
Wie sieht denn eure Aufgabenteilung aus?
H: Damals waren wir Runner, Abendchef, Barkraft, alles eigentlich.
R: Da wir unterschiedliche Fähigkeiten haben ergänzen wir uns ganz gut.
H: Ich mache eher die Technik und Booking und alles was Akkuschrauber und Bauen angeht oder Sound.
R: Während ich hauptsächlich den Papierkram bewältige.
H: Das Golden Gate wäre ohne Reimund schon lange pleite.
Hat sich in den acht Jahren eures Bestehens etwas zum Schlechteren hin verändert? Was war früher besser?
H: Es war anders und hatte eine Qualität, die es jetzt nicht mehr hat.
R: 2006 zum Beispiel. Das war so eine Zeit.
Fussball-WM.
R: Ja, genau. Da war die Fussball-WM. Das war toll. Nein. Da waren die Afterhours noch so richtig wild. Wir kannten die Leute auch fast alle. Das war sehr wie eine Familie.
H: Da hatten wir noch den Tanzraum da, wo die Bar jetzt ist. Und zu den Afterhours ging die Musik aus, das Mischpult wurde abgekabelt, zwei Leute nahmen das Brett mit Plattentellern und Mischpult einer ging durch die Menge vorweg und hat Platz gemacht, um das alles durchzutragen. Dann haben wir den ursprünglichen Raum dicht gemacht und alle standen im neuen Raum. Der Raum war so voll, wie ein Dampfkochtopf kurz vor der Explosion. Der ganze Laden hat zur Musik gebrüllt. Die Treppe war mit drei Reihen an Menschen komplett voll und alle breit bis unter die Hutschnur. Aber feierbreit und nicht so assig.
R: Damals war unsere Idee eben: kein Erfolg ohne Neuland. Man muss irgendwann den Schritt gehen und Neuland betreten.
H: Das war die Samstag-Afterhour.
R: Genau. Eine Afterhour am Samstag gab es nicht. Und wir sind die, die damit angefangen haben.
Ein Auto fährt auf den Bürgersteig hoch und kommt kurz vor dem Sofa mit quietschenden Bremsen zum Stillstand.
Okay Leute, hier ist gerade ein Auto auf uns zu gefahren und niemand hat reagiert. Cheers! Ich denke, es ist Zeit nach Hause zu gehen.
Interview Lev Nordstrom
Images Richard Kirschstein
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Lev Nordstrom
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