A bottle of Held Vodka with Harris

von Lev Nordstrom


Harry ist Harry. Und Harry ist fleissig. Im August erscheint sein neues Album, Der Mann im Haus. Nebenbei ist er als DJ Binichnich unterwegs, hat eine eigene T-Shirt Reihe – die Official Harris Collection – arbeitet mit dem Senat an einem pädagogisch einsetzbaren Kinder-Rap-Sampler, ist an der Seite von Techno-Taverna Stassy K. als Stassy & Harry zu finden und trifft sich in letzter Zeit zu weiteren Produktionen mit Siopis. Achso, und stolzer Papa und Eheman ist er auch. Eigentlich wollen wir das Interview mit Harry im Maxxim führen. West Berlin und so. Aber statt ins Maxxim zu fahren, treffe ich mich mit Harry beim gemeinsamen Dönerladen an der Ecke. Erstmal etwas essen. Ist auch besser so. Eine Freundin meint noch wohlwollend „Lev, pass auf Dich auf. Harry trinkt Dich unter den Tisch“. Ich bestell mir also noch eine Pommes dazu. Harry holt inzwischen noch sein HSV-Trikot – nicht weil Har- rys Herz nicht für Hertha schlägt, sondern lediglich weil heute Abend der HSV spielt, mit Jerome Boateng. Den kennt Harry. Harry kennt viele und viele kennen Harry. Mit zwei Dönern und einer Pommes steigen wir in die U-Bahn und fahren zu Harrys Kumpel. Im Hintergrund läuft Fussball, im Vordergrund spricht Harry. Wir trinken den Vodka aus Eierbechern. Ihr wisst schon. Pass the mic!

Yo. Wer bist du denn?

Lev. Und du?

Ich bin Harry. Angenehm.

Cheers! Wo kommst du her?

Ich komm aus Kreuzberg. Aufgewachsen bin ich in H-Town! (Hallesches Tor)

Wieso hast du angefangen zu rappen?

Rap war damals schon eine Faszination für mich – N.W.A., 2 Live Crew, Jungle Brothers, A Tribe Called Quest – alles coole Typen. Da habe ich einfach mitgerappt, so gut es ging. Ich habe mir nie wirklich Gedanken gemacht, dass ich mal Rapper werde. Ich hatte das Glück, dass ich zweisprachig aufgewachsen bin. Mein Vater hat als Ami immer Englisch mit mir geredet.

Soldat?

Ja. Mein Vater hat am Flughafen Tempelhof gearbeitet. Da durfte ich damals auch Geburtstag feiern, da wo sonst keiner rein durfte. Es hatte schon einen gewissen Grad an Vorzügen einen G.I.- Vater zu haben.

Warst du auch auf der John F. Kennedy Schule?

Nein, ich war nicht auf der John F. Kennedy Schule. Richtig angefangen zu rappen habe ich dann ’93 oder ’94, als ich auf der Abendschule war. Da habe ich dann einen Text geschrieben über eine Braut, die wir alle kannten. Eigentlich wollte ich das nur so niederschreiben, habe dann aber nach der Hälfte gemerkt, dass sich alles reimt. Okay. Es hat sich nicht alles gereimt, aber immer wieder, und es war halt nicht so gewollt. Das war sozusagen mein erster Underground-Track.

Hat deine Mutter davon gewusst?

Nein, gar nicht. Ich war nie zu Hause.

Wo warst du denn?

Ich habe mich auf der Straße rumgetummelt und in Clubs.

Mit wie vielen Jahren?

Ab zehn.

Echt? Cheers! Wie bist du denn mit zehn in die Clubs gekommen? Ich meine, ich komme immer noch nicht in die Clubs. Ey, wie alt bist du denn? 28. Ja. Na klar. Erstmal Ausweis zeigen.

Das erste Mal im Club war ich mit zwölf.

Welche Clubs waren das denn?

Future, Studio 76. Alles Clubs, wo nur Amis waren. Garage, das war so ein Laden am Wittenbergplatz. Der hat um 23 Uhr aufgemacht, ich musste um 1 Uhr zuhause sein.

Hast du früher viel Mist gebaut?

Ich glaube, für Kreuzberger Verhältnisse war ich eher ein harmloses Kind, mit dem man noch reden konnte. Ich war auch nur einmal im Bau und habe nie wieder etwas gemacht. Ich hab viel Action gehabt. Bin zwischendurch nach Jamaica abgehauen. Von ’94 bis ’95 war ich in Jamaica. Da habe ich einen ziemlich krassen Wandel gemacht. Bin aus meinem Plattenbaukiez 61 weg und war auf einmal im Paradies.

Wieso Jamaica?

Da war so eine Frau, die ein paar Indische Restaurants in der Grolmannstraße hatte. Die hat mir damals meinen Rottweiler abgekauft, da ich nach Amerika bin. Als ich wiederkam hat sie mir sogar Geld dafür gegeben, mit dem Hund Gassi zu gehen, nur damit ich nicht auf der Straße bin. Irgendwann meinte sie „hey, du hast doch gerade einige Verfahren am laufen, komm doch mit nach Jamaica, ich möchte da einige Restaurants aufmachen, kann aber kein Englisch“. Also bin ich weg. Als ich dann in Jamaica kein Geld mehr hatte, habe ich angefangen in Hotels zu arbeiten, zuerst als Deutsch-Dolmetscher für Touris in einem Vier-Sterne All Inclusive Resort. Als ich dort Komplikationen hatte, bin ich zum Nachbarresort gewechselt und war auf einmal in einem Fünf-Sterne All Inclusive Resort, wo ich dann Chef-Animateur für Deutsche wurde.

So richtig Pool-Animateur mit Megafon?

Alles. Mit Ansage und so weiter. Morgens, Mittags, Abends.

Hat sich ja nicht viel verändert. Machst du ja immer noch so bei deinen Auftritten.

Genau. Die überschüssige Energie, die ich damals mit 17 hatte und nicht wusste wohin damit, habe ich halt da in Jamaica gelassen. Als ich keine Verlängerung meiner Arbeitserlaubnis dort bekam bin ich im Sommer ’95 zurück nach Berlin und direkt in den Bau gewandert. Da wurde mich klar, okay, es muss sich etwas ändern. Da lief schon die Mucke. Die lief parallel, aber nicht wirklich ernst. Damals habe ich noch komplett über alle Instrumentals, alle Beats von The Chronic gerappt. Alles durchgerappt. Ich kann alles.

Hattest du damals schon so eine Stimme?

Nein. Die Stimme habe ich gefunden. Ich hatte sie immer, aber ich wusste nicht damit umzugehen. Das ist wie ein Laserschwert haben, aber du weisst nicht, wie es angeht. Ich habe schon so geredet, aber gerappt habe ich wie ein Spast. Wenn du dir die ersten GBZ Sachen anhörst, dann habe ich eigentlich nur geschrien die ganze Zeit. Erst als wir mit Fanta Vier, mit den Produzenten Andy Y und Ralf Goldkind im Studio waren, meinten die „ey Harris, weisst du nicht, was du hier hast?“.

Erzähl mal von deinem allerersten Auftritt in Berlin.

Mein erster Auftritt an den ich mich erinnern kann, der war in der Naunyn Ritze in Kreuzberg, als ich zwölf oder dreizehn war. Ein Typ aus meiner Klasse, Rasmus, hat immer gesagt, „ey man, du bist’n Neger, du musst rappen können“. Er hat richtig gerappt und meinte ich müsse auch rappen. Dann hat er mit mir ein paar Englische Texte geschrieben. Wir haben Snoop Dogg und solche Sachen eben nachgemacht. Damals war dann dieser Jam und es hieß dann Derezon legt für uns auf. Für mich als Kreuzberger war das „boah krass, DJ Derezon, boah krass“. Ich war eigentlich mehr darüber aufgeregt, dass ich Derezon als DJ hatte, als vor dem eigentlichen Auftritt.

Wie prägst du dir deine Texte ein?

Es gibt einen gewissen Grad an Übung. Zum Beispiel bringe ich demnächst mein neues Album raus. Das sind neue Texte, fresh geschrieben, neues Publikum, und so weiter. Das ist das gleiche Lampenfieber wie vor 10-15 Jahren, vor fünf Jahren, vor fünf Minuten, egal was. Da ist immer sehr viel Aufregung dabei. Du hast die Texte eben noch nie vor Leuten gerappt. Du musst dich erst finden und du kannst dich auch erst vor Leuten finden. Du kannst nicht vorm Spiegel stehen. Du kann nicht vorm Spiegel üben. Vorm Spiegel bist du immer geil. Aber die Leute sind der Spiegel.

Cheers!

Bist du gläubig?

Nein.

Richtig Heide?

Naja. Ich bin ein Jude. Ich habe Bar Mitzvah gemacht.

Na dann bist du ja gläubig. Wenn du sagst, dass du Jude bist, dann bist du gläubig.

Finde ich nicht. Für mich ist das auch eine Art Kultur. Nicht nur die Religion. Ich bin Jude, jüdischer Abstammung, aber ich bin nicht gläubig.

Nee.

Doch.

Nee.

Doch.

Lev, nein alter. Wenn du sagst, dass du ein Jude bist, dann bist du gläubig.

Ich finde Jude sein, ist mehr als nur den Glauben haben. Es ist auch mit Traditionen verbunden.

Aber wenn du sagst, dass du ein Jude bist, dann gibst du auch einen gewissen Glauben preis.

Aber ich renne doch nicht herum und sage „hey, ich bin Jude“.

Was sagst du dann?

Keine Ahnung. Ich bin Lev, alter.

Okay. Wir lernen uns in Berlin kennen und ich frage dich, „ey was bist du eigentlich, woher kommst du?“

Aus Berlin.

Bist du Deutscher?

Nein. Ami.

Alles klar. Cheers!

Jetzt muss es aber weitergehen.

Bist du gläubig? Glaubst du an Gott?

Nein. Ich weiß nicht woran ich glaube.

Okay. Da fällt zum Beispiel nicht das Wort „Jude“.

Überhaupt nicht.

Deswegen. Also bist du kein Jude.

Für mich schon. Man wächst trotzdem innerhalb dieser Religion und mit einem anderen kulturellen Hintergrund auf. Ich meine, ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen, wenn ich Schwein esse.

Echt?

Ja, wirklich. Ab und zu esse ich mal ein Brot mit Salami.

Und dann hast du ein richtig schlechtes Gewissen?

Nicht ganz, aber mir ist es zumindest sehr bewusst, dass ich gerade Schwein esse. Lechaim! Schenk mal gleich nochmal zwei ein. Dann setzen wir uns mal raus. Ist eh ein langweiliges Spiel und Hamburg führt 1:0. Hast du eigentlich in unserem Kiez, wo du jetzt mit deiner Frau und deinen beiden Kindern lebst, deine Ruhe?

Überwiegend ja.

Hast du deswegen den Bezirk gewechselt?

Überwiegend ja. Das ist eine ganz andere Welt hier.

Ich bin hier aufgewachsen.

Ich habe einen Kumpel, der auch hier hergezogen ist aus Kreuzberg. Den kenn ich auch, wegen Geschäfte. Der wohnt jetzt auch hier. Wir sind neulich an der Schule von meiner Tochter vorbei gelaufen und haben beide fast gleichzeitig gesagt, „alter, hier ist so pussy!“

Danke.

Nein, man muss das auch erklären, warum wir das sagen.

Es tut weh.

Nein, es ist ja voll gut. Der Grund, weshalb ich das sage, wenn ich an der Schule von meiner Tochter vorbeilaufe, ist dass die Probleme, welche die hier haben, so minimal sind im Vergleich zu den Problemen, die ich an der Grundschule hatte, wo ich herkomme. Stra- ßenkunde. Ich weiß, dass ich hier nicht wirklich reinpasse. Das bekomme ich mit, wenn ich mich im Kinderladen meines Sohnes mit anderen Eltern über ihre Interessen unterhalte. Das sind einfach verschiedene Welten. Ich seh mich da auch im Vergleich zu denen noch als Jugendlicher.

Aber du bist doch in dem Sinne auch noch Kind. Vieles in der HipHop Kultur ist noch Kind. Oder?

Nein. Nehmen wir mal dich. Auch du. Nehmen wir mal an, du findest jetzt die Frau deines Lebens, ihr kriegt ein Kind, was auch in den Kinderladen geht und in die Schule. Sagen wir mal nächsten Monat triffst du die Frau und zwölf Monate später, wirst du Vater. Dann wirst du dich in den nächsten fünf Jahren trotzdem nicht so krass verändern. Du stößt an. Auch gerade hier.

Ich stoße an?

Wie du aussiehst schon alleine. Du siehst nicht gerade aus, wie der erwachsene Mann, den man gerne im System sehen würde. Das merke ich auch bei mir immer wieder. Ich bin immer der Exot.

Cheers! Aber du bist schon ruhiger geworden, oder? Ich meine vor zehn Jahren hättest du mich wahrscheinlich noch in der U-Bahn abgezogen.

Ja. Auf jeden Fall.

Und jetzt sitze ich hier mit dir und trinke Vodka.Was hat sich geändert? Vielleicht würdest du mich ja immer noch abziehen.

Wenn ich nicht mit meiner Frau wäre und nicht den starken Drang hätte anders zu sein, als mein eigener Vater, würde ich dich wahrscheinlich wegboxen und dir deinen Scheiß wegnehmen.

Wir brauchen eine Flasche Wasser. Ich fange schon an zu lallen. Bin gleich wieder da. Es steht 1:1. Harry spricht ins Mikro, einen Part aus dem Track Kohle, vom neuen Album:

Zuerst muss ich mal sagen, ich hasse Geld /

Aber du brauchst es überall auf dieser Welt /

Geld kommt, Geld geht, so schnell kannste gar nicht kieken /

Essen und Tanken wird teurer genauso wie die Mieten.

 

Also musst du Geld haben, ‘n Nebenjob, ‘n Kaufladen /

Kannst dir nix schicket kaufen und nicht deinen Wagen fahren/

Ist schon scheiße auf diesem Planeten ohne Moneten /

Man fässt sich in die leere Tasche und fragt sich, ‘wat geht’n?!’

 

Nix geht, wenn du nix hast, wenn du mich fragst /

Und wenn du nicht zahlen kannst, geht es ab in den Knast /

Ey, wie soll man zahlen, wenn man im Knast sitzt /

Rein in jungen Jahren und raus mit achtzig.

 

Es gibt viele die finden Geld fantastisch/

Die machen alles dafür und sehen aus, wie plastik /

Sind geizig und denken be- stimmt nicht nur an das Eine /

Die Kohle, den Zaster, die Mäuse, die Scheine.

 

Der HSV liegt 1:2 zurück.

Boah, alter. Der Vodka macht mich kaputt.

Ey, übrigens Harry. Es gibt da so einen Blog, den ich in der letzten Zeit ziemlich viel lese.

Wasn?

Der heisst elleparamour.

Echt? Liest du auch, oder was?!

Ja.

Krass. Ich auch alter!

Das ist wie Sex And The City.

Überkrass, oder? Ich habe auch schon ein paar Sachen davon bei mir auf Facebook gepostet.

Ich finde das auch übelst lehrreich.

Sehr lehrreich.

Vor allem für Typen.

Auf jeden.

Wie gesagt, ich bin durch diese Texte schon einigen Minen ausgewichen.

Also ich freue mich jeden Montag auf die Kolumne.

Gehst du noch ins Cookies?

Nee.

Ich auch nicht. Ich muss ins Bett. Lass mal U-Bahn fahren. Cheers!

Tait Eita!

myspace.com/onlyoneharry

Interview Lev Nordstrom

Photos Richard Kirschstein

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Lev Nordstrom

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