Titten, Tangas, Testosteron: Zum 14. Mal fand Ende Oktober die Venus in Berlin statt. Grund genug für unseren Autor, seinen Besuch auf der weltweit größten Sexmesse in der proud zu verarbeiten.
Ein Blick auf den Messeplan hat gereicht, um zu wissen, wo der erste Weg hinführt: Vorbei an den Ständen mit Dildos und Gummimuschis, halbnackten Flyer-Verteilerinnen ausweichend schnurrstracks in die Halle, die mit dem verheißungsvollen Namen „Show-Area“ betitelt ist. Auf der Venus ist Pünktlichkeit ein hohes Gut, und um 12:53 Uhr sind wir 7 Minuten zu früh für die nächste Show, wie uns die Autoscooter-Stimme aus dem Lautsprecher alle 60 Sekunden wissen lässt. Schon jetzt ist die erste Reihe vor der Bühne mit einem Kamerateam aus lüsternen Mit-Sechzigern bestückt, die jedem roten Teppich Ehre machen würden.
Auch eine kurze Runde durch die restliche Halle bleibt unergiebig, kreisen die Gedanken doch um die 13:00 Uhr Show: Wird es Zwerge geben? Schäferhunde? Kann ich heute Nacht schlafen? Und wenn ja, will ich es überhaupt?
Punkt 13:00 Uhr brüllt uns astreiner Mallorca-Pop aus den Boxen entgegen, Ladies and Gentlemen, die Show beginnt. Zwei in Seiden-Laken gehüllte Gestalten erheben sich aus dem Dunst der Nebelmaschine und wiegen sich in deplatzierten Bewegungen zur noch viel deplatzierteren Musik. Als die Hüllen fallen, beginnt das Blitzlichtgewitter, und um auch dieses Klischee des schlechten Geschmacks zu erfüllen, tragen die beiden Mädels auf der Bühne venezianische Masken. Was folgt, ist der uninspirierteste Robot-Dance seit Kraftwerk „Autobahn“ veröffentlicht hat.
Man sieht förmlich die Proben vor sich: „Also, dann steht ihr aus dem Nebel auf, und lasst die Tücher fallen, und dann…na, was ma- chen wir denn dann? Kinder, könnt ihr den Robot?“ Nein, können sie nicht. Die beiden strippen und knutschen, und bevor sich der erste Schweiß auf den Halbglatzen im Publikum bilden kann, sind sie schon wieder von der Bühne gehuscht. Keine Zwerge, keine Schäferhunde.
So weit so gut. Teil Zwei der Show is a little something for the ladies. Vinzent Diabolo betritt die Bühne, ein zweiter Meter großer Latino mit Cape und Teufelshörnern, der irgendwann bestimmt mal ein Literaturwissenschafts-Studium abgebrochen hat. Vinzent beantwortet die Frage nach dem Spucken oder Schlucken für sich mit Feuer und pustet ein paar durchaus respektable Flammen in das sichtlich verunsicherte, weil männlich-heterosexuelle Publikum. Musikalisch führt Herr Diabolo uns vom Regen in die Traufe, da die Best-of- Ballermann nun zwar durch Faithless‘ „Insomnia“ abgelöst werden, er aber mit fremdschämender Ernsthaftigkeit seine Lippen zum Text bewegt. Bevor die Show endet wirft der Moderator, der vielleicht wegen Alkoholismus bei NeunLive rausgeflogen ist, noch ein paar DVDs wie Frisbees in die Menge, was soll der Geiz. Die Flugbahn einer der DVDs wird von der Birne meines Vordermannes so abgelenkt, dass sie mir Glückspilz vor die Füße fliegt. Nun bin ich der stolze Besitzer von „Grandmas fuck too“ mit 6 Stunden echten Gefühle. Wie gut, dass bald Weihnachten ist.
Gänzlich unbefriedigt von der eher seichten Aufführung latzen wir einen Zehner Eintritt für die Lesben-Dildo- Show, die in deutlich intimeren Rahmen hinter der Bühne stattfindet, und zwar im zum Pornokino umfunktionierten LKW-Ladebereich. Auch hier hat eine Crew aus Hobbyfotografen in der ersten Reihe bereits monströse Teleobjektive aufgebaut, deren Brennweite lückenlose Einblicke in den Gebärmutterhals der jungen Damen ermöglichen sollte. Wir waren ganz froh über diesen Umstand, da wir im Vorfeld Geschichten über die Lesben-Dildo-Show gehört hatten, die eine Bühnen-Beteiligung aus der ersten Reihe des Publikums beinhalteten.
Die Kombination aus Lesben, Dildos und Teleobjektiven kann meiner Kanzlerkandidatur 2033 nicht förderlich sein, also setzen wir uns vornehm in die zweite Reihe. Auf den Plastik-Gartenstühlen neben uns lümmeln sich Gestalten, die nicht weiter beschrieben werden müssen, da sie das Klischee des Besuchers einer Lesben-Dildo-Show im LKW-Ladebereich an einem Sonntag Mittag vorbehaltslos bedienen: Pensionierte Erdkundelehrer, verpickelte Computer-Nerds, einsame Porno- Sammler. Und mitten drin wir.
Die CD wurde während der kurzen Pause nicht gewechselt, und nun marschieren zwei Stripperinnen, eine Blond, eine Brünette, in knappen Cop-Uniformen herein und lassen zu den vertrauten Balearen-Beats ihre Schlagstöcke kreisen. Nach ein paar kurzen Moves auf der Bühne haben die beiden das Szenario überblickt und bemerkt, dass wir den Alters-Durchschnitt erheblich senken, aber den Attraktivitäts-Index spielend steigern. Ich ahne nichts Gutes, fühle mich aber von meinem Platz in der zweiten Reihe beschützt.
Der brünette Cop hüpft von der Bühne und greift sich den einzigen leeren Stuhl in der ersten Reihe – den Stuhl vor mir. Der Stuhl ist weg, mein Plan gescheitert, und ich sitze nun technisch gesehen ebenfalls in der ersten Reihe. Die Stripperin setzt sich auf meinen Schoss und drückt den Kopf meines Kumpels mitten in ihre Silikon-Brüste. Mit ihrem viel zu süßem Parfüm in der Nase, dem Kirmestechno im Ohr und den Teleobjektiven auf der Haut ist die Situation in etwa so erotisch wie eine Bundeswehr-Musterung. Die Musik wechselt nun zu Portishead. Und ist damit nach Faithless schon die zweite Band, die ich nicht mehr mit denselben Ohren hören werde.
Die Show wird ihrem Namen gerecht, es gibt Lesben, es gibt Dildos, und auch die Fotografen kommen auf ihre Kosten. Für zehn Euro also: Prädikat Preiswert. Wir haben beide noch nichts gefrühstückt, und gehen daher zu diesem Zweck an die Bar. Hier zeigt sich sehr schnell, dass die Venus kein Perversen- Treff ist (auch), sondern einen überraschend genauen Querschnitt durch die Gesellschaft bietet: Brandenburger Atzen treffen auf kleinbürgerliche Pärchen und Männer mit Hundehalsband begegnen Frauen im Latex-Overall. Deutschland vereint im Voyeurismus.
Wenn ein Bier und ein Schnaps die erste Mahlzeit am Tag ist, hat man ja gern diesen Zeitreise-Effekt: Man fühlt sich wie 13, als nach einem Bier schon alles ulkigamüsant war. Die weltweit größte Sexmesse tritt diesem Gefühl nicht gerade entgegen. Auf dem Weg in die Fetish-Area kommen wir folgerichtig am Stand mit den Gummimuschis vorbei. Ein derartig kurioses Stück Technologie lässt Kerle Mitte Zwanzig natürlich hängen bleiben wie Fliegen an Klebeband-Fallen. Tollerweise gibt es Gummimuschis nämlich in drei Varianten: Pussy, Arschloch und Mund. Und bei Bedarf auch noch nach dem Vorbild eines echten Pornostars modelliert. Wenn man also auf der Venus steht und leicht benebelt in kindlicher Neugier nicht anders kann, als seinen Finger in besagte Gummimuschi zu schieben, erwächst das unvermeidbare aber leider viel zu späte Ekelgefühl nicht aus der Tatsache, dass man hier gerade eine Gummimuschi fingert, sondern aus der Frage, wie viele Typen exakt jene Gummimuschi in den letzten vier Tagen schon gefingert haben. Der Gedanke erübrigt sich aber, sobald man den Blick über den Messestand schweifen lässt, und feststellt, dass es Gummimuschis auch für Schwule gibt – Gummiärsche, sozusagen.
Nach dieser kurzen aber intensiven Reflektion waren wir bereit für die Fetisch-Area. Wenn der Rest der Venus ein Eimer Sangria ist, ist die Fetisch- Area ein Glas Rotwein: Gediegen, kultiviert, fast fein. In gedämpftem Licht bewundert man hier Andreaskreuze und Streckbänke, Hodenpranger und Stahlkäfige. In diesem Sado-Maso- Schlaraffenland bleibt es nicht aus, dass man vor einem Artikel steht, der in einem nichts als Ratlosigkeit auslöst. Zum Beispiel Edelstahl-Besteck im Lederetui.
Der freundliche Schwabe vom Messestand hilft weiter: „Desch sind Inschtrumende vom Frauenarzt. Damit öffnet man den Muttermund, um eine Schpirale einzusetzen.“ Zu den Drähten daneben weiß er zu berichten: „Die sind für den Harnleiter. Esch geht um das Schpiel mit dem Schpiel.“ So schnell wird aus Ratlosigkeit blanke Angst. Männer und Frauen sollten einen Deal machen: Wir lassen Eure Muttermünder in Ruhe, ihr lasst die Finger von unseren Harnleitern. Halleluja.
Was bleibt, ist, dass die Venus eine überraschend biedere und damit irgendwie auch urdeutsche Veranstaltung ist. Das Publikum, abgesehen von den Profi-Spannern, rekrutiert sich aus Normalos, denn Liebe ist für alle da, und all die Penispumpen, Doppeldildos und Cockringe werden mit nüchterner Sachlichkeit präsentiert. Die Venus ist wie ein Space-Shuttle- Start: Seen one, seen them all.
Text Lukas Kampfmann
Lukas Kampfmann
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